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Ist das Kunst, oder kann das weg? Die Arbeiter auf der Baustelle am Bremer Weserwehr konnten die Frage nicht beantworten. Deshalb blieb das fünf Tonnen schwere Konstrukt aus sechs Stahlsegmenten erst mal liegen. Für Nichtfachleute war es als Kunst nicht zu identifizieren, weil diese – wie man von Joseph Beuys und seinen Fettecken weiß – heute leicht mit Müll verwechselt werden kann. 2010 erschien der Eigentümer, ein Bildhauer aus Münster, in Bremen, um sein Kunstobjekt abzuholen. Aber es war weg.
Der Künstler verlangte 60.000 Euro Schadenersatz. Bremen weigerte sich zu zahlen. Erst im Juni, also nach neun Jahren, einigte man sich auf 30.000 Euro. Vermutlich war das Kunstwerk zusammen mit Altmetall entsorgt und dann eingeschmolzen worden.
Nach Paragraph 48 des Beamtenstatusgesetzes hätte der Sachbearbeiter, der die Panne zu verantworten hatte, für den Schaden aufkommen müssen. Doch der wurde nicht ermittelt. Der Schadenersatz blieb deshalb beim Steuerzahler hängen. Wie immer in solchen und ähnlichen Fällen.
So, wie die Hansestadt an der Weser finanziell dasteht, kommt es auf 30.000 Euro Verlust zusätzlich nicht an. Ihre permanent desolate Kassenlage stützt das Vorurteil, dass Sozialdemokraten nicht mit Geld umgehen können. Sie regieren in Bremen ohne Unterbrechung seit 74 Jahren. Und ebenso solange stecken sie im Debet. Ja, doch, sie tilgen, was sie können. Jedoch, das ist nicht viel. Beim gegenwärtigen Tempo wird die Schuldenuhr erst in 753 Jahren auf null stehen.
Zahler im Länderfinanzausgleich sind (mit großem Abstand ganz vorn) Bayern, dann Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg. Die anderen zwölf kassieren nur ab. Auch die Städte im Ruhrpott sind abgebrannt. Die rotrotgrüne Durchwurstelfraktion in Berlin hat die jämmerlichsten Bilanzen. Ihr Schuldenberg ist monströse 57,6 Milliarden groß. Die Pro-Kopf-Verschuldung der Berliner liegt bei 16.000 Euro. Das sind 35-mal soviel wie die der Münchner.
Wenn kleine Kommunen zu hoch in der Kreide stehen, greift die Kommunalaufsicht disziplinierend ein. Mit der stolzen Hauptstadt kann man das so natürlich nicht machen. Der damalige Bürgermeister, Klaus Wowereit, hat die Misere dann souverän ausgesessen und sogar noch Witze darüber gemacht. Berlin sei eben arm aber sexy. So what? Er hatte auch keine Hemmungen, sich vier Jahre vor der Zeit frühpensionieren zu lassen, mit rund 7.000 Euro Altersgeld.
Auf einer Gedenkmünze zu seinen Ehren stand 2014 auch Wowis Credo: „Sparen, bis es quietscht.“ In seiner Politik kam der Satz nicht vor.
Wowereit war auch mitverantwortlich für das Desaster mit dem Flughafen BER. Es war ein Riesengriff ins Klo. Aber er schob alles auf Andere. Und kam damit auch durch.
Reiner Holznagel, der Präsident des Bundes der Steuerzahler, findet die unterschiedlichen Haftungsregeln für Beamte und normale Staatsbürger nicht gerecht: „Wer dem Staat Steuern schuldig bleibt, wird hart bestraft, wer das Geld verschwendet, muss jedoch viel zu oft keine Konsequenzen tragen.“ Im Big Business greift die sogenannte Manager-Haftung. Das heißt: Der Boss muss – gegebenenfalls auch mit seinem Privatvermögen – für Schäden geradestehen, die er oder seine Mitarbeiter verursacht haben.
Wie in einem besonders krassen Fall bei VW in Wolfsburg. Gegen den ehemaligen Konzernpatriarchen Martin Winterkorn laufen Ermittlungen wegen des Diesel-Skandals, obwohl ihm bislang nicht mal Mitwisserschaft nachgewiesen wurde. Er könnte, wenn es ganz schlimm für ihn kommt, auf Hartz-IV-Niveau abstürzen
Die Justiz kennt kein Pardon, Ganz anders, wenn Parlamentarier oder Staatsdiener die Schadensverursacher sind. Politiker brüsten sich, vor allem im Umfeld von Wahlen, gern damit, dass sie bereit seien, „politische Verantwortung zu übernehmen“. Das ist im allgemeinen blanke Heuchelei. Sie müssen niemals verantworten, was sie anrichten.
Der Bund der Steuerzahler hat zahllose spektakuläre Fälle von Schlamperei registriert. Den prominentesten Fall der letzten Jahre stellte der Bundesrechnungshof zum Jahreswechsel im Verteidigungsministerium fest. Wie war das mit der Gorch Fock?
Der stolze Dreimaster, der auf dem alten Zehn-Mark-Schein abgebildet ist, war im November 2015 in die Werft gebracht worden, weil Schäden am Rumpf behoben werden mussten. Ein Bericht des Havariebeauftragten, der das Schiff 2011 inspiziert hatte, war wohl nicht so ernst genommen worden, wie der Zustand es erfordert hätte. In einem Gutachten heißt es, dass „über einen Zeitraum von vielen Jahren eine nicht unwesentliche Gefährdung von Schiff und Besatzung ausging.“ Kurzum, es war ein Schrottpott.
Dass die „Gorch Fock“ von ihren vielen Fahrten über die Weltmeere immer wieder heil in ihren Heimathafen an der Kieler Tirpitzmole einlief, wird von nicht Wenigen als Glücksache gewertet. Das Schiff hätte leicht wie der Windjammer „Pamir“ am 21. September 1957 in einem Hurrikan sinken können. Damals ertranken 80 der 86 Besatzungsmitglieder.
Unter der Leitung von Ministerin Ursula von der Leyen wurde viel falsch gemacht. Sie hat auch nie ernsthaft die Frage gestellt, welchen Sinn überhaupt ein Segelschulschiff im Zeitalter der Atom-U-Boote und Flugzeugträger macht. Warum nicht auch Nagelkeulen für die Infanterie?
Die Reparaturkosten stiegen in drei Jahren auf 135 Millionen Euro, also auf das 14-fache der ursprünglich veranschlagten 9,6 Millionen. Das Dossier über das Gorch-Fock-Debakel, so schrieb der „Spiegel“ Anfang des Jahres, beginne „für die Ministerin brisant zu werden.“
Natürlich war Ursula von der Leyen verantwortlich für das Missmanagement. Ebenso dafür, dass ihr Ressort in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres 155 Millionen Euro Beraterhonorare zahlte, fast ebenso viel wie alle anderen Ministerien zusammen. Die über 2.000 Mitarbeiter im Ministerium brachten offenbar nicht genug Sachverstand auf die Waage. Abes es passierte ihr nichts.
Als CEO in der Industrie hätte sich Ursula von der Leyen nach dem Fiasko wohl die Papiere abholen können. Aber statt sie aus dem Verkehr zu ziehen, verschaffte ihre Freundin Angela Merkel ihr den Spitzenjob bei der Europäischen Union in Brüssel. Eine schreckliche Vorstellung, dass sie als Chefin der EU-Kommission jetzt über einen Jahreshaushalt von rund 150 Milliarden Euro verfügt.
Es wäre nicht schwierig, die Schuldigen für das Debakel festzustellen. Aber der Apparat tut sich schwer mit Finanzaffären. Der Bund der Steuerzahler erwähnt in seinen Schwarzbuch 2019 auch ein Gästehaus in Berlin, das fünf Millionen Euro jährlich an Unterhaltskosten verschlingt, aber nur an acht Tagen im Jahr genutzt wird. Ein weiteres Gästehaus wird ein wenig intensiver genutzt, aber wirklich nur ein wenig.
Auch die Personalkosten des Bundestags sind über die Jahre aus dem Ruder gelaufen. Die 709 Abgeordneten beschäftigen über 5.300 Vollzeitmitarbeiter. Das Heer der Assistenten hat sich seit 2010 fast verdoppelt. Mit Zustimmung des Plenums, versteht sich.
Die weit verbreitete Politikverdrossenheit hat auch damit zu tun, dass den Fraktionen das Geld so erbärmlich locker sitzt. Merkwürdig nur: Die Öffentlichkeit nimmt kaum Anstoß an dem Raubbau.
Die Beamten kann man nicht haftbar machen für die Verschwendung. Die Politik auch nicht. Der Jurist Carlos A. Gebauer fordert, dass Politiker wie Manager für ihre Fehler materiell verantwortlich gemacht werden. Wenn ihnen das Risiko zu hoch ist, müssten sie eben eine Haftpflichtversicherung abschließen.
Das voraussichtlich teuerste Missgeschick im Berliner Pannenjahr 2019 war im Juni die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, die im Vorjahr geschlossenen Mautverträge für rechtswidrig zu erklären. Im Dezember verlangten die Betreiberunternehmen dann 560 Millionen Euro Schadenersatz, für Leistungen, die sie nicht erbracht hatten. Verkehrsminister Andreas Scheuer hatte die Verträge geschlossen, obwohl die Rechtslage unklar war. Die Opposition freut sich schon.
Vielleicht lassen sich die Forderungen drücken. Aber ein Betrag in dreistelliger Millionenhöhe wird schwer zu vermeiden sein. Und der Steuerzahler ist dann wieder der Dumme. Das Unangenehmste, was dem Zocker Scheuer passieren könnte, wäre ein Rausschmiss aus der Regierung. Aber Schmusekanzlerin Merkel wiegelt ab: „Der Andy Scheuer macht eine gute Arbeit.“ Obwohl die Tatbestände das Gegenteil bezeugen. Und die schwarze Fraktion der Warmduscher im Bundestag stärkt Merkel wie üblich den Rücken.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hatte die Mautverträge von Anfang an für europarechtswidrig erklärt. Scheuer schlug die Warnung aber mit funkelnder Arroganz in den Wind. Er attestierte dem Dienst „fachliche Ignoranz“.
Die illiquiden Haushalte breiten sich epidemisch aus. Deshalb will es Finanzminister Olaf Scholz jetzt mal richtig krachen lassen. Die am höchsten verschuldeten Städte und Gemeinden sollen schlagartig entschuldet werden. Er hat angekündigt, dass der Bund die Hälfte ihrer Altschulden in Höhe von 40 Milliarden bei den sogenannten Kassenkrediten übernehmen werde.
Die Kämmerer im Land können darüber aber nicht recht froh werden. Denn Papa Scholz-Gütig hat offengelassen, wie er den Segen finanzieren will. Kassenkredite dienen hauptsächlich dazu, vorübergehende Engpässe zu überbrücken, so wie Dispokredite bei Bankkunden. Sie dürfen aber nicht für längerfristige Investitionen verwendet werden.
Viele Kommunen haben jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt. Jetzt steht ihnen das Wasser bis zum Kinn. Und es gibt auch keine Gewähr dafür, dass ihre Ausgabenpolitik sich durch die Spende ändern würde. Es ist zu befürchten, dass sie wieder für neuen Klumpatsch verschleudert werden.
Clemens Fuest, der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, hat Scholz für seinen Plan gerüffelt. Er sagte, eine pauschale Schuldenübernahme untergrabe die öffentliche Finanzdisziplin. Unklar ist ferner, wie die 8.500 Kommunen reagieren werden, die nichts kriegen sollen. Wenn Scholz sich durchsetzt, ziehen sie den Kürzeren. Das werden sie kaum zulassen.
Weil deutsche Bürgermeister ständig von der Kunstbanausen-Neurose bedroht sind, werden kulturelle Einrichtungen bei der Geldverteilung mit Vorrang bedient. Die Hamburger Elbphilharmonie alias Elphi schlug mit 860 Millionen Euro zu Buche. Veranschlagt waren bei Baubeginn 77 Millionen, also ein Elftel.
Der damalige Bürgermeister, Ole von Beust, prahlt damit, dass er zur Verantwortung für seine Fehler stehe. Das ist eine hohle Worthülse. Das Vorermittlungsverfahren gegen ihn endete seinerzeit ohne Ergebnis. Jeden Euro, den die Elbphilharmonie gekostet habe, werde sie auch wieder einbringen, protzte von Beust. Tatsächlich wird sie vom Publikum gut angenommen. Aber sie wird immer ein Zuschussgeschäft bleiben.
Beust engagiert sich jetzt im Rotary Club, in der Initiative „Mayors for Peace“ und in der „Smartpacking-Initiative für Parkraumbewirtschaftung“. Einmal durfte er auch am Christopher Street Day die Parade anführen. Er kokettiert auch ein bisschen mit den Grün-Alternativen. Das ist im Augenblick ja modern. Sonst ist ihm in den letzten Jahren nichts Politisches von Belang mehr eingefallen.
Ole von Beust hat versucht, den Eindruck zu erwecken, dass er Wiedergutmachung für seine Verfehlungen leisten will. Er sagte dem Hamburger Abendblatt, er gehe davon aus, dass er seine Pension erst im Alter von 65 Jahren, das heißt, zehn Jahre nach seinem Ausstieg aus dem Bürgermeisteramt, in Anspruch nehmen werde. Man beachte den Satzbau. Er sagte nicht, er werde jetzt auf eine Pensionszahlung verzichten. Er sagte: „Ich gehe davon aus, dass...“
Fast ebenso üppige Finanzierungsgebaren wie die Hamburger leisten sich die Kölner mit der Sanierung ihrer Oper. Ursprünglich sollte sie 253 Millionen kosten. Jetzt steht die Schätzung bei 820 Millionen. Nicht ausgeschlossen, dass das Renommierprojekt noch die Milliarden-Grenze knackt. Die erste Inszenierung war für November 2015 geplant. Jetzt wird der Musentempel wohl erst 2023 fertig werden.
Auch München beherbergt ein kolossales Millionengrab: Die Sanierung des Deutschen Museums kostete seit 2011 absurde 400 Millionen Euro. Allerdings, die bayerische Hauptstadt ist gut situiert. Sie kann das schaffen.
Etliche Preisstufen unter dem Museumsprojekt, aber nicht weniger grotesk, waren 100.000 Euro für eine „Mäusebrücke“ beim niederbayerischen Ort Vilshofen. Bisher hat niemand gesehen, dass sie von einer Maus betreten wurde.
Ziemlich weit unten auf der Skala der Kommunen, die tief in den roten Zahlen stecken, rangieren Ortschaften wie Jesteburg in der Nordheide. Dort wurde – unter dem Protest eines großen Teiles der Bevölkerung – um die Jahrhundertwende die „Lisa-Kate“ errichtet, ein Pavillon, etwas größer als eine Ein-Zimmer-Wohnung, der zunächst als Zeitungskiosk und dann als Touristeninformation diente. In den letzten drei Jahren erwirtschaftete das noble Reetdachhäuschen 220.000 Euro Verlust.
Heute steht die Lisa-Kate leer, weil sich kein Pächter findet. Die Investitionen von fast einer Million Mark sind aber nicht ganz in den Sand gesetzt, weil sie als öffentliche Bedürfnisanstalt dient. Ein Pissoir für eine Million. Man kann sehen: Die Jesbörger, die leisten sich was.
Jesteburg spielt sich gern als Dorf der schönen Künste an die Rampe. Es hat einen „Kunstpfad“, ein pompöses Heimathaus und drei Museen. Für einen Ort von gerade mal 8.000 Einwohnern ist das ziemlich üppig. Das größte davon, die „Kunststätte Bossard“ soll jetzt für über zehneinhalb Millionen erweitert werden. Der Haushaltsausschuss des Bundestags trägt davon die Hälfte.
CDU-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer aus Brackel, dem Nachbarort von Jesteburg im Landkreis Harburg, den Grosse-Brömer in Berlin vertritt, hat dafür harte Lobbyarbeit geleistet. Jetzt ist er wieder Everybody’s darling in seinem Wahlkreis. Und deshalb hat er beste Aussichten auf ein Mandat im nächsten Bundestag.
Quelle: Erich Wiedemann