Die Mitte ist weder links noch rechts

Die politische Mitte ist hart umkämpft. Ihre Definition stellen Links und Rechts aufs Spiel. Wer über die Mitte die Deutungshoheit erhebt, der verliert sie. Wer sie verschiebt, tut ihr unrecht und gefährdet die Demokratie.

Es stimmt ja: Diese Gegenwart bringt keine Helden hervor. Zumindest keine, die diesen Namen verdienen. Dass wir in postheroischen Zeiten leben, bestreitet fast niemand. Eine Ausnahme aber gibt es: den Empörungshelden. Es handelt sich um jene Glühwürmchenphänomene, die Empörung hervorrufen und sie vielleicht genießen, ehe die Menge weiterzieht. Einer der derzeitigen Empörungshelden heißt Raed Saleh, ist ein Berliner Lokalpolitiker und gehört der SPD an. Was ihn zum Empörungshelden macht, ist symptomatisch und verdient eine nähere Betrachtung. Saleh behauptet, nur die „linke Mitte“ stehe treu und fest zur Demokratie. Eine linke Mitte aber gibt es nicht.

Das Linke kann niemals Mitte sein. Raed Saleh irrt wie so viele. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus will Landesvorsitzender der SPD werden, gemeinsam mit oder unter Franziska Giffey. Raed Saleh wurde geboren in Westjordanland, weshalb der Komiker Kurt Krömer die Vita Salehs auf die Formel verkürzte, dieser sei „von Palästina nach Spandau gekommen“. Saleh war zu Gast in Krömers Krawallsendung bei RBB und machte erwartbar keine Schnitte.

Skurrile Bekenntnisse

„Sie haben den Karren komplett verrecken lassen“, musste Saleh sich von Krömer sagen lassen. Gemeint war der SPD-Karren. Saleh wusste nichts als ein hilfloses Lachen und peinliche Komplimente für Krömers Anzug entgegen zu setzen. Und, angesprochen auf die künftige Zusammenarbeit mit Giffey, das skurrile Bekenntnis, „wir übernehmen ja sehr viel, was die Grünen übernommen haben“, etwa das Prinzip der Doppelspitze. Die SPD als Plagiat der Plagiatoren?

Zuvor hatte Saleh aufhorchen lassen mit einem Gastbeitrag in der Berliner Zeitung. Darin stand zu lesen: „Die linke Mitte steht. Die linke Mitte steht felsenfest zu unserem Grundgesetz, zur Demokratie in unserem Land.“ Sagt Saleh. Oder lässt Saleh schreiben. Und außerdem: „Uneingeschränkt zur Demokratie und zum Grundgesetz stehen nur die Parteien der linken Mitte – nämlich SPD, Grüne und Linke.“

Eine linke und eine nicht-linke Mitte?

Ergo müssen wir uns CDU, CSU, FDP, aber auch Freie Wähler, Piraten, ÖDP und „Die Partei“ als Kandidaten für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz vorstellen. Das ist abenteuerlich, absurd und dumm. Das Gleiche gilt von der voraussetzungslosen Eingemeindung der Linkspartei unter die Schutzkräfte des Grundgesetzes. Bekanntlich werden Teile der umbenannten SED tatsächlich vom Verfassungsschutz überwacht.

Saleh kann zu solchen Fehlschlüssen nur gelangen, weil er seinen wirren Darlegungen ein Subjekt zugrundelegt, das es nicht gibt: die „linke Mitte“. Nehmen wir Salehs Gedankengang für eine Sekunde ernst, dann existiert eine linke und eine nicht-linke Mitte. Dann ist die Mitte gespalten in einen verfassungstreuen und einen unzuverlässigen Teil, in hundertprozentige und in partielle Demokraten. Mitte sind demnach beide Teile, aber nur die Linken lassen an ihrer Grundgesetztreue nicht den Hauch eines Zweifels.

Mitte ist Liberalismus

Bei den Nicht-Linken wisse man nie, woran man sei. Ergo, liebes Publikum: Wählt links, wählt gerne Sozialisten, damit die Demokratie gestärkt werde. Selbst als Reaktion auf die jüngsten Ereignisse im Erfurter Landtag sind solche Behauptungen der blanke Unfug. Die Demokratie gewinnt nicht, wenn in ihr nur das linke Lager das Sagen hat. Ganz im Gegenteil: In der Mitte befindet sich exakt eine weltanschauliche Position – der Liberalismus. Es gibt ebenso wenig eine linke wie eine rechte Mitte.

Die Mitte ist jener politische Raum, der von den Rändern begrenzt ist, ohne Rand zu sein. Es braucht eine politische Rechte und eine politische Linke, um die Mitte zu definieren. Die Mitte kann schon aus geometrischen Gründen nicht links sein, nicht rechts sein. Die Linke sucht ihr Heil in Staatsvergottung, Internationalismus und Umverteilung, die Rechte fingiert einen Zustand anfänglicher nationaler Homogenität, den es nie gab. Beides ist in einer freiheitlichen Demokratie legitim, taugt aber nicht zum Gradmesser der Mitte.

Die Zumutung ungemilderter Eigenverantwortung

Wer links ist, steht links der Mitte. Wer rechts ist, steht rechts der Mitte. Es gibt keine Mitte ohne die Zumutung ungemilderter Eigenverantwortung, ohne das Risiko der Freiheit. Dass damit kein Spezialgut einer schlingernden FDP unter einem irrlichternden Bundesvorsitzenden gemeint ist, versteht sich von selbst. Eine linke Mitte wäre ein hölzernes Eisen, ein nasses Feuer, ein riesiger Zwerg. Leider ist Raed Saleh kein Einzelfall. Mehr und mehr verdichtet sich der Eindruck, den Linken, dem Lager jenseits der Mitte, solle die Definitionshoheit darüber zugeschustert werden, was Mitte sei. So dankt die Mitte ab.

Keinen Sinn hat der Begriff mehr, keine Zukunft das Projekt, wenn Mitte sein soll, was den Unbedenklichkeitsstempel der Linken erhält. Eine linke Mitte wäre der Triumph der Linken über die Mitte und also das Ende der Mitte, der Abschied vom Liberalismus, die Abkehr von der Bundesrepublik. Nichts Geringeres steht auf dem Spiel als die Frage, ob Deutschland ein Land bleibt, das sich nicht von seinen Rändern beherrschen lässt. Der Vorschlag der Linken lautet, das Linke künftig Mitte zu nennen und so die linke Oberhoheit über die Republik zu vollenden. Es ist die Stunde der Demokraten aller Couleur, diese Usurpation zurückzuweisen.

Quelle: Alexander Kissler ist Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

Share this story