Dec 01â˘6 min read
Wer im Internet das letzte Wort hat, geht meist als Gewinner aus dem Ring. Doch dabei geht es weniger um Ăźberzeugende Argumente oder schale Kompromisse, dafĂźr aber um knackige SprĂźche, schlagfertige Entgegnungen und Witze auf Kosten des Gegners. Das Internet liest schlieĂlich mit â und recht hat, wer die Mehrheit hinter sich weiĂ. In nicht allzu seltenen Fällen entwickelt sich so aus banalsten SprĂźchen in einer beliebigen Kommentarspalte ein virales Phänomen, zum Beispiel ein sogenanntes Meme. Dabei handelt es sich meist um lustige Bilder, Videos oder Sätze, die im Internet zĂźgig Verbreitung finden.
Ein solches Meme hat nun, nachdem es besondere Popularität im amerikanischen Raum erreichte, fĂźr Furore gesorgt: Der Spruch âOk, Boomerâ soll durch das Video eines älteren Mannes, der Ăźber junge Leute, ihren angeblichen Mangel an Selbstständigkeit und ihre utopischen Träume klagt, inspiriert worden sein. Was also anfangs mit dem fĂźr sich genommen verständlichen Belächeln von absurdem Altherren-Gezetere begann, bekam jedoch bald eine politische Dimension.
Mit der kurzen, spÜttisches Desinteresse signalisierenden Antwort werden vor allem jene bedacht, deren altkluge, hämische Kommentare die sogenannte Generation Y (von den frßheren 1980er Jahren bis 1997) und die Generation Z (von 1997 bis 2012) in Zukunft nicht mehr ernst nehmen wollen: AngehÜrige der von etwa 1946 bis 1964 andauernden Babyboomer-Generation. Jene Jahrgänge also, denen man vorwirft, im Gegensatz zu den Millennials ßber alle Privilegien verfßgt und vom Wohlstand der Nachkriegsjahre profitiert zu haben, werden zur neuen Zielscheibe.
Das geschieht wohl nicht nur, weil man sich nicht ernst genommen fĂźhlt, sondern auch aufgrund der Annahme, die Babyboomer-Generation hinterlasse den jungen Menschen heute eine durch UmweltzerstĂśrung dem Kollaps entgegenschreitende Welt. Die Jungen werfen den Alten letztlich verantwortungslosen Konsum, gewissenlose Untätigkeit gegenĂźber den dadurch geschaffenen Problemen und paternalistischen Umgang mit den Generationen nach ihnen vor. Hinter dem Begriff des âBoomersâ versteckt sich die in den vergangenen Monaten häufig frequentierte Rede vom âalten, weiĂen Mannâ â nun jedoch geschlechtsneutral und im soziologischen Fachjargon.
Der virale Hype spricht dabei fĂźr sich: In kurzen Videos mit mehreren Millionen Klicks auf der Plattform TikTok, in Reddit-Foren und auf Twitter erreichte das Meme eine ungebrochene Popularität. Mit dem markanten Spruch bedruckte Kleidung lässt sich bereits Ăźber das Internet bestellen. Sogar im neuseeländischen Parlament quittierte die Abgeordnete ChlĂśe Swarbrick den Zwischenruf eines älteren Herren mit âOk, Boomerâ, was ihr viel Zuspruch in den sozialen Netzwerken einbrachte. Die 25-jährige Politikerin der GrĂźnen Partei Neuseelands sagte später, der Konter sei Ausdruck âkollektiver ErschĂśpfung, die junge Leute vor allem dann erleben, wenn sie immer wieder Fakten in die Debatte einbringen, man ihnen aber nur mit Dogmen begegnet.â Kritik daran kam wiederum von der New York Times: Diese titelte, dass âOk, Boomerâ fĂźr das Ende der freundlichen Beziehungen der Generationen stehe.
Jenes scheinbare Ende ist allerdings nicht das Problem â intergenerationelle Differenzen und Gemecker der Generationen Ăźbereinander gab es stets. Dass irgendwann entsprechend harsch auf die reichlich geĂźbte Kritik reagiert wird, ohne ihren mĂśglicherweise wahren Kern anzuerkennen, mag ebenso verständlich sein. Das âOk, Boomerâ-Meme kommt dabei jedoch zusätzlich dem sowieso schon herrschenden Zeitgeist entgegen: In ihm verdichtet sich sowohl die umweltbewegte Anklage an ältere Generationen, man habe den jungen Menschen die Zukunft gestohlen, als auch das gehässige, allseits beliebte Lachen Ăźber alte, als ahnungslos imaginierte Menschen. Dass letzterer Umstand, der im verbalen Draufhauen auf die Abgehängten aufkeimt, keinerlei Kritik erfährt, zeigt, dass sozialchauvinistische UntertĂśne heute schon lange kein Tabubruch mehr sind, solange es die Richtigen trifft: all jene, auf die man sich milieuĂźbergreifend als SĂźndenbĂścke einigen kann.
Was aus Sicht der âMillennialsâ als besonders pfiffig und gewagt daherkommen soll, vollzieht einfach nur das nach, was heute zum guten Ton gehĂśrt: das, was ohnehin fällt â in diesem Fall die gesellschaftliche Macht der konservativen, ignoranten Alten â, auch noch zu stoĂen. Verwunderlich ist es leider kaum, dass Linke beim identitätspolitisch kolorierten Draufspucken auf die Alten mitmachen. Wo frĂźher einmal der Begriff der Klasse und die Solidarität mit den sozial Schwachen dominierte, verfĂźgt man heute Ăźber dutzende Identitätskategorien, an denen man alle Gruppen fleiĂig nach Geschlecht, Hautfarbe, Sexualität â und natĂźrlich Alter â sortieren kann.
Wer am wenigsten privilegiert und am meisten unterdrĂźckt scheint, bekommt die Aufmerksamkeit linker Antidiskriminierungsvereine. Alle anderen werden ignoriert oder ihnen wird â wie im Falle der Alten â ihr Privileg gleich zum Vorwurf gemacht. UrplĂśtzlich sind so auch von der im Sozialpädagogen-Jargon sattelfesten Linken erfundene Termini wie âgruppenbezogene Menschenfeindlichkeitâ und âAgeismâ (die Diskriminierung aufgrund des Alters) vergessen, sobald die ârichtigeâ Seite das Alter zum Nonplusultra der Kritik erhebt.
Vergessen werden sollte dennoch nicht, dass der nun von zahlreichen Medien beschworene Generationenkonflikt zwischen âBoomernâ und âMillennialsâ ein gern gesehener Anlass ist, die jeweils andere Generation als willkommenes Feindbild auszuschmĂźcken, um sich im Stolz auf die eigene Generation zu Ăźben. Während beispielsweise aus dem Gemecker älterer Menschen Ăźber Langzeitstudenten in geisteswissenschaftlichen Fächern immer schon das Ressentiment gegen die Unproduktiven, der Neid auf den MĂźĂiggang und die Lust an der Aufwertung seiner eigenen Generation sprach, kĂśnnen die âMillennialsâ kaum verbergen, dass das âOk, Boomerâ-Meme ebenfalls eine Manifestation der eigenen, vermeintlich taffen Ăberlegenheit sein soll. Man braucht sich gegenseitig, um die eigene Generation durch Abgrenzung schärfer zu definieren.
Wer da nicht mitspielt oder das ganze Spektakel gar mit Skepsis beäugt, wird prompt zum verbitterten Spielverderber abgestempelt. Das gemeinschaftliche Schmunzeln will man sich nicht nehmen lassen. Jeder, der es nicht versteht oder ablehnt, muss wohl selbst ein âBoomerâ sein â so zumindest die Logik in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke. Es ist also folgerichtig, wenn der Begriff des âBoomersâ irgendwann so inflationär verwendet wird, dass jeder alles in ihn hineinlegen kann.
Mit der Anmerkung, dass das Boomer-Sein vor allem eine Frage der Einstellung und nicht der GenerationszugehĂśrigkeit sei, trifft es inzwischen auch alle jene, die im Verruf stehen, hinter dem Zeitgeist zurĂźckzubleiben. âBoomerâ wird zum Signalwort fĂźr das vermeintlich Konservative und Altbackene: Wer es liest, kann alles sofort einordnen und braucht sich nicht weiter inhaltlich auseinanderzusetzen.
In regelmäĂigen Abständen lässt sich dieses Phänomen im Internet, aber ebenso darĂźber hinaus beobachten: Ist erst einmal ein hinreichend unscharfer, sowie weitgehend unsympathischer Sozialtypus gefunden, kann das Ressentiment am jeweils aktuellen schwarzen Schaf ausagiert werden. Je mehr Menschen mitmachen, desto umfassender die kollektive, zusammenschweiĂende Triebabfuhr und desto gestillter vorerst auch der Hunger des Internet-Mobs.
Quelle: Nico Hoppe arbeitet als freier Journalist und Autor fĂźr Novo-Argumente, wo dieser Beitrag erschienen ist. Er schrieb bisher u.a. fĂźr die Jungle World, den Standard und die NZZ.