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Virologen streiten über die richtigen Strategien gegen den Virus und über die Frage nach den treffendsten Indikatoren für den Rückgang der Pandemie. Dabei ist klar, dass der Dissens zur Wissenschaft gehört. Und das gilt auch für viele Details des Klimawandels.
Was die Corona-Krise uns bereits zu diesem Zeitpunkt zeigt: „Die Wissenschaft“, die von Grünen, Fridays for Future und so weiter ständig beschworen wird, gibt es nicht. Vor der Corona-Krise wurden wir täglich belehrt, die Politik solle sich endlich nach „den Erkenntnissen der Wissenschaft“ richten und die Klimapolitik nach diesen unumstößlichen und gesicherten Erkenntnissen ausrichten. Grüne, Greta und „Fridays for Future“ tun dabei so, als würden alle Wissenschaftler eine einheitliche Meinung vertreten und die Politik müsse nichts anderes tun, als diese Meinung umzusetzen.
Laien stellen sich Wissenschaft in der Tat genau so vor – als Ansammlung gesicherter, endgültiger und unumstrittener Wahrheiten. Jeder Wissenschaftler weiß, dass das Blödsinn ist. Wissenschaft ist eben keine Ideologie oder Religion mit unumstößlichen und unstrittigen Wahrheiten. Bertrand Russell, der große Mathematiker, Philosoph und Logiker meinte: „Wenn alle Experten sich einig sind, ist Vorsicht geboten.“ Wissenschaft soll um Erkenntnis der Wahrheit und Wirklichkeit ringen, aber dies geschieht in ständigen Kontroversen. Der Wissenschaftstheoretiker Karl Popper formulierte das so: „Unsere Theorien sind unsere Erfindungen. Sie sind nie mehr als kühne Vermutungen, Hypothesen; von uns gemachte Netze, mit denen wir die wirkliche Welt einzufangen versuchen.“
Was für Wissenschaftler selbstverständlich ist, merkt jetzt eine breitere Öffentlichkeit, die sich verwundert die Augen darüber reibt, dass „die“ Virologen und Epidemiologen eben nicht einer Meinung sind, sondern ständig streiten, und dass das, was heute als gesicherte Erkenntnis gilt, morgen im Lichte neuerer Erkenntnisse schon wieder anders gesehen wird.
Grüne behaupten, beim Thema Klimawandel sei das anders – und nicht nur sie. Die Bundesregierung erklärte 2019 in Beantwortung einer Anfrage im Bundestag, „99,94 Prozent“ der Wissenschaftler seien sich beim Thema Klimawandel einig. Solche Zahlen sollen suggerieren: Wer diesen unstrittigen Konsens, der angeblich von 97 oder sogar von 99,94 Prozent der Wissenschaftler geteilt werde, nicht teile, könne nur ein kompletter Ignorant und Blödmann sein bzw. ein schlimmer „Klimawandelleugner“.
Wer sich näher mit dem Thema befasst, weiß, dass diese Zahl eine grobe Irreführung darstellt, die suggerieren soll, dass es hier eine Einheitlichkeit gibt, die es in Wahrheit aber nicht gibt. Ich empfehle dazu diesen sehr guten Artikel im „Spiegel“, der das Märchen vom Konsens zum Thema Klimawandel widerlegt.
Hier heißt es über das Ergebnis der australischen Studie des australischen Wissenschaftlers John Cook, auf die sich die „97-Prozent-Konsens“-These stützen soll: „Weniger als ein Prozent der Studien widersprachen ausdrücklich dem Einfluss des Menschen. Gut zwei Drittel hatten keine Position zu dem Thema – sie blieben außen vor. Das Resümee von Cook und seinen Kollegen: 97 Prozent legten einen menschlichen Einfluss zugrunde. Die Studie belegt also lediglich eine Banalität: Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass der Mensch zur Klimaerwärmung beiträgt. Selbst hartgesottene Kritiker der Klimaforschung zweifeln nicht an dem physikalischen Grundsatz, dass Treibhausgase aus Autos, Fabriken und Kraftwerken die Luft wärmen. Zu den eigentlich entscheidenden Fragen jedoch macht die Cook-Studie keine Aussage: Wie groß ist der menschengemachte Anteil am Klimawandel? Und wie gefährlich ist der Klimawandel? Die bedeutendsten Fragen der Umweltforschung sind weitaus schwieriger zu beantworten – und hier gehen die Meinungen der Wissenschaftler weit auseinander. Die Kontroversen und Unsicherheiten dazu dokumentiert sorgsam der aktuellen Klimabericht auf Tausenden Seiten.“
Natürlich ist das Thema Klimawandel keine Ausnahme davon, wie Wissenschaft funktioniert. Die naive Meinung der „Fridays for Future“-Kids und grüner Ideologen, wir müssten uns nur alle sofort nach dem ausrichten, was „die Wissenschaft“ uns sagt, ist Ausdruck eines grundsätzliches Missverständnisses über das Wesen der Wissenschaft. In der Corona-Krise wird das deutlich. Es gibt weder eine einheitliche Meinung über die Sachverhalte noch darüber, welche Folgerungen daraus zu ziehen sind. Aber bitte glauben Sie nicht, dass die Grünen (wobei ich nicht nur die gleichnamige Partei meine, sondern die Anhänger des grünen Zeitgeistes, die Medien und Politik beherrschen) diese Lehre aus Corona ziehen werden. Ideologen lassen sich niemals durch die Wirklichkeit belehren, sonst wären sie keine Ideologen.
Quelle: Rainer Zitelmann