Die Politik und das Ende einer Freundschaft

Von Carlotta S., einer 19 Jahre alten Schülerin aus Berlin. Weitergehende Informationen werden aus Sicheitsgründen und Befürchtungen wegen Repressalien nicht publiziert. Es handelt sich um eine private Darstellung und Meinung, die jedoch nachvollziehbar ist und zum Nachdenken anregen soll.

Ich erinnere mich kaum noch an den Anfang der politischen Diskussionen in unserer Schule. Durch den Politikunterricht wurden wir jedenfalls erstmals an die Parteien, ihre Geschichte und ihre Inhalte herangeführt. Zudem füllten sich die Schulstunden schleichend mit grausamen Fakten des schmelzenden Eises und des daraus resultierenden Eisbärensterbens. Die meisten meiner Mitschüler waren selbstverständlich und vollkommen moralisch geschockt.

Ein weiteres großes Thema von Beginn des Politikunterrichts an war die AfD. Sie war das natürliche Feindbild unserer Lehrer und sollte auch unseres werden. Sie wurden wie Mensch gewordene Dämonen dargestellt, die uns unschuldige Engelchen zerfleischen wollten. Es war sogar ausdrücklich verboten, die AfD für ein Schulreferat zu googeln. Das wurde mit der Gefahr begründet, andernfalls vom Verfassungsschutz verfolgt zu werden.

Nach und nach war eines klar: Die Welt muss gerettet werden, sei es vor dem Klimawandel, der AfD, dem Fleischverzehr, dem Kapitalismus und den Plastikbechern. Ein guter Anfang schien es zu sein, seinen Mitbürgern den Kauf eines Kaffees inklusive Kaffeebecher zu verbieten. Auch das Verzehren von Fleisch und Kaugummis gelangten auf die Liste der Verbote.

Die Situation spitzte sich zu, generationsübergreifend. Eltern wurden für den Kauf von Fleisch getadelt, Lehrer für ihr mangelndes Engagement, Gleichaltrige für den Kauf eines Autos. Zu dieser Zeit wurde von den engagierten und moralisch betroffenen Mitschülern viel recherchiert, natürlich auf sehr viel verzichtet und noch mehr die unmenschlichen und zerstörerischen Verhältnisse kritisiert.

Begleitet von einem unwohlen Gefühl

Durch „Fridays for Future" war es dann amtlich. Das Fortbestehen der Welt hängt von der heutigen Jugend ab. Von da an gab es keine Grenzen mehr. Lehrer wurden auf das bitterste beschimpft, wenn sie ein Flugzeug betreten hatten oder gar im Sommer das Auto benutzten, anstatt mit dem Radel unterwegs zu sein.

Relativ schnell kam mir die Sache komisch vor. Ich konnte meinem unwohlen Gefühl aber keinen Ausdruck verleihen. Es schien, als würden meine Mitschüler und Freunde in anfangs kaum merklichen Schritten immer extremer werden. Aber der Begriff Extremismus hatte nur im rechten Spektrum seinen Platz. Links und extrem waren Gegensatzpaare wie AfD und Gutwille. Somit schwieg ich. Vielleicht zu lange. Ich war zwiegespalten zwischen der Angst, meine Freunde zu verlieren, und meiner eigentlichen Meinung. Meine Harmoniesucht gewann.

Das letzte Schulhalbjahr brach an und die Situation verschärfte sich weiter. Den Schülern wurde freigestellt, zur freitäglichen Demonstration zu gehen. Ich ging nicht mit und genoss den wöchentlichen Einzelunterricht. Auch schlossen sich nach und nach einige der Antifa an, Antifa-Sprüche wurden auf Tische geschrieben und Mitschüler immer öfter terrorisiert.

Zum Showdown kam es circa ein Monat nach den Europawahlen im Mai 2019. Bei einem abendlichen Bierchen kam die Sprache erneut (es gab kaum ein anderes Thema) auf die aktuelle politische Lage. Nachdem wieder einmal die unausweichliche Richtig- und Notwendigkeit der eigenen Postionen klargemacht wurden, ging es nun gegen mich.

Ich wurde gefragt, wen ich denn gewählt habe. Das war durchaus knifflig. Ich wollte zwar keinen Konflikt mit meinen Freunden provozieren, zu lügen erschien mir jedoch auch nicht der rechte Weg zu sein. Daher entschied ich mich für ein unverständliches „weiß nicht genau". Ich kam mir recht diplomatisch vor.

Grillmeister bei der Abschlussfeier

Das hielt allerdings auch nur für ein paar wenige Tage. Dann klingelte mein Telefon. Es meldete sich eine aufgebrachte Stimme, die sich meiner engen Freundin zuordnen ließ. Und dann prasselte ein Regen aus Unterstellungen und Gerüchten auf mich ein. Jetzt war es raus, ich war zum Feind geworden. Es stellte sich heraus, dass meine eventuell doch nicht so ganz diplomatische Antwort als Beweis genügte. Ich war als mutmaßliche AfD-Wählerin enttarnt worden, und somit vom Schaf zum Wolf mutiert. Laut ihrer Aussagen sei ich verblendet. Ein gesunder Menschenverstand, der auch nur einmal ins Internet schaue, könne nicht ernsthaft daran zweifeln, dass die Partei der Grünen grundsätzlich im Recht sei.

Wie sollte ich reagieren? Ich wechselte ständig zwischen dem Kundtun meiner Meinung und dem sich klein machen. Dann wurde unser Abitur-Abschluss zelebriert. Ich kam in den Genuss einer recht amüsanten Situation. Der Grillmeister des Abends hatte unter anderem Fleisch gebraten. Und damit meine ich echtes, nicht-veganes Fleisch vom Tier. Gerade als ich an dem Grill vorbei lief, hörte ich, wie eine Schülerin den Grillmeister mit zitternden Lippen und hochrotem Gesicht zusammenstauchte: Was ihm einfiele, den Grill mit Fleisch zu verschmutzen. Anscheinend gab es eine Abmachung, oder zumindest die Erwartung, den Abend vegan oder zumindest vegetarisch zu gestalten. Der Meister blieb ruhig und ließ sich von der infantilen Hysterie nicht aus der Ruhe bringen. Nach diesem Vorfall (den fast jeder zwangsläufig mitbekommen hatte) bildeten sich zwei Fronten. Die einen beglückwünschten die Schülerin, die anderen den Meister.

Nach der offiziellen Veranstaltung wanderten wir Abiturienten in einen nahe gelegenen Park, um noch einmal zu feiern. Den ganzen Abend lang erhielt ich nichts als enttäuschte Blicke, und es wurde kein Wort mit mir gewechselt.

Eines meiner Elternteile wurde für schuldig erklärt

Später kam es nun doch zu einer direkten Auseinandersetzung mit meiner nun ehemaligen Freundin. Das Resultat war, dass sie mir nicht mehr in die Augen gucken wollte und feststellte, dass ich labil sei. Was nicht vergessen werden darf: Ich hatte nie – und damit meine ich nie – gesagt, dass ich die AfD wählen würde. Ich war zugegebenermaßen niedergeschlagen. Innerhalb von wenigen Wochen verlor ich viele „Freunde", weil ich das anzweifelte, wofür sie vermeintlich ihr Leben geben würden, zumindest verbal.

Für meinen Sinneswandel wurden viele Theorien aufgestellt. Soweit ich das noch mitbekommen habe, wurde eines meiner Elternteile für schuldig erklärt. Aber in diesem Stadium der Gerüchteküche habe ich den Überblick verloren.

Ein natürliches Mittel, jemanden erneut an sich zu binden, ist das Mittel des Kleinmachens. Das konnte ich in den letzten Monaten öfter beobachten in Beziehungen jeglicher Art. Erst wird eine vertrauliche Atmosphäre geschaffen, dann wird dir erklärt, was alles in deinem Leben schiefläuft und wer dich in die Pfanne hauen will, um dann wiederum die rettende Hand zu sein. Also praktisch gesehen, Wunde aufreißen und dann Pflaster darauf. Hat bei mir nur leider auch nicht so ganz funktioniert. Zumindest das mit dem Pflaster nicht.

Nach dem Schulabschluss gibt es nun eigentlich keinen sozialen Zwang mehr, Nettigkeiten auszutauschen. Bei Treffen der ein oder anderen werden politische Themen aber ganz bewusst und auf unangenehme Art verschluckt. Immer wieder bin ich bei genauerem Nachdenken empört, wie schnell wir uns gespalten haben. Es scheint, als hätten meine damaligen Freunde und ich überhaupt keine Gemeinsamkeiten mehr und als seien wir nun für immer getrennt. So, wie es nur die Liebe und die Politik vermag.

Ich habe lediglich Meinungen und vermeintliche Fakten hinterfragt

Ich kann oder möchte es kaum wahrhaben, wie mit Menschen umgegangen wird, die anders denken. Oder besser gesagt, überhaupt denken. Menschen die dem Mainstream nicht blind und nur mit dem unbedingten Willen zur Anpassung folgen.

Immer wieder höre ich nun Geschichten von bedrohten und ausgegrenzten Menschen, die sich offen zum Konservatismus bekennen. Soweit war ich aber damals noch gar nicht, ich habe lediglich die Meinungen und vermeintlichen Fakten hinterfragt. Im Grunde genommen sollte es doch selbstverständlich sein, etwas so weit zu hinterfragen und zu überprüfen, bis man diese Meinung zweifelsohne vertreten kann. Zu dem damaligen Zeitpunkt hegte ich gar keine grundsätzlichen Zweifel an der herrschenden Meinung und Ideologie. Ich wollte mir nur sicher sein, dass das alles so stimmte, wie es berichtet wurde. Doch allein das wurde als Verrat empfunden.

Genau jene Gruppen, die anscheinend für Gleichheit und Gerechtigkeit einstehen, vertreiben Andersdenkende. Es ist so weit gekommen, dass sie bereit sind, engen Freunden den Laufpass zu geben. Dieses Verhalten zeugt nicht gerade von Stärke und Überzeugungskraft. Mit Scheuklappen trampeln sie den vorgefertigten Weg entlang und sind auch noch stolz darauf. Es kann doch nicht verkehrt sein, die Umwelt zu retten – diese Begründung rechtfertigt alles.

Keine schöne, aber eine lehrreiche Erfahrung. Nach den Ereignissen der letzten Monate haben sich einige Türen geschlossen, aber viele Tore geöffnet. Ohne Zweifel war es schmerzhaft, so vor den Kopf gestoßen zu werden, und ich wurde verraten und enttäuscht. Aber rückblickend empfinde ich überwiegend ein Gefühl der Befreiung. Ich habe allein in den letzten Wochen so viele Gleichdenkende kennen und schätzen gelernt, die ich sonst niemals getroffen hätte. In meinem jetzigen sozialen Umfeld kann ich ich sein. Ich bin in der Lage, meine Meinung und meine politische Ausrichtung frei zu äußern, ohne mich zurückhalten zu müssen.

Share this story