Dec 25•8 min read
Von Vera Sandström
Das Jahr 2021 neigt sich dem Ende zu. Wenn ich die beiden vergangenen Jahre Revue passieren lasse, so habe ich das Gefühl, in eine künstlich geschaffene Parallelwelt geraten zu sein, ungewollt Teilnehmerin eines sozialpsychologischen Experimentes geworden zu sein, bei dem es darum geht, den Menschen mittels Konformitätsdruck ihre Fähigkeit zu blindem sinnbefreiten Gehorsam vorzuführen. Um dann am Ende sich darüber zu wundern und vielleicht sogar gemeinsam darüber zu lachen.
Aber das ist leider nicht der Fall, es ist keine Parallelwelt, es ist bittere Realität. Mein Jahr 2021 begann mit meinem ersten Beitrag auf reitschuster.de, der Geschichte vom Mondbären in den Zeiten von Covid-19. Es war eine hellseherische und dystopische Eingebung, die sich leider voll bestätigt hat und die auch die heutige Situation aus meiner Sicht perfekt beschreibt. Die politischen Entscheidungsträger (und vor allem deren Berater und hier besonders in Deutschland!) konnten und können die Vorstellung nicht ertragen, auf „das Virus“ keine Macht ausüben zu können. Sie verstanden und verstehen das Eigenleben „des Virus“ mit seinem plötzlichem Kommen und Gehen trotz supertoller Prognosemodelle nicht und wollen sich deshalb nicht eingestehen, dass viele Maßnahmen weitgehend sinnbefreit, häufig sogar kontraproduktiv waren und sind. Diese Maßnahmen taugen höchstens als psychologisches Placebo für verunsicherte Menschen, von denen es dank gezielter „Angstkommunikation“ ja eine Menge gibt.
Da „das Virus“ aber macht, was es will, üben die Regierungen ihre Macht dort aus, wo sie diese noch haben – nämlich über die Menschen. So bleibt trotz realer Machtlosigkeit über „das Virus“ ein Gefühl von Kontrolle, Macht und Berechenbarkeit, ohne das offenbar weder die Entscheidungsträger existieren können noch die überwiegende Mehrheit der Bürger („wir brauchen Führung, wir brauchen Schutz!“). Und das in eigentlich doch demokratischen Ländern, in denen die Macht vom Volke auszugehen hat und nicht umgekehrt. In Gesellschaften, in denen individuelle Freiheit und Verantwortung das Fundament ist, auf dem alle Erfolge der Vergangenheit aufgebaut wurden. Ich muss zugeben, diese Aufgabe von Verantwortung und der Ruf nach Führung ist für mich extrem desillusionierend im Bezug auf viele Mitmenschen, die man zuvor als selbstbestimmte Individuen ernst genommen hatte. Damit dieser kulturelle Kontrast zu früheren Zeiten im Umgang mit den eigenen Bürgern nicht so auffällt, bedient man sich seitens der Regierenden martialischer Rhetorik und bezeichnet die Situation als notwendige autoritäre Ausnahme von der demokratischen Regel. Wie im Krieg halt. Und natürlich muss es wie im Krieg dann auch Sündenböcke geben, die an allen Misserfolgen schuld sind, die man beschimpfen kann (und soll!), um vom eigenen Versagen und der eigenen Verantwortung abzulenken. Vor allem braucht man die Sündenböcke aber, um den brav Geführten das Gefühl zu geben, dass die Opfer nicht sinnlos waren und sie alles richtig gemacht haben, als sie ihren Anspruch selbständig zu denken abtraten. Weitere Opfer zu bringen ist schließlich für alle Regierten die Devise, während die politische Kaste insgesamt als Kriegsgewinnler vom Ausnahmezustand kurzfristig profitiert.
Völlig desillusionierend ist für mich auch, dass offenbar Verfassung und freiheitliche Grundrechte in diesem Land als Schönwetterkonstrukt gesehen werden (obwohl sie sicher als „krisensicher“ konzipiert waren ursprünglich) und dies für die Mehrheit der Menschen scheinbar akzeptabel ist. Sobald Krise ist, selbst eine solch relativ undramatische wie derzeit, brauchen Grundrechte also einen Grund, können „weggenommen“ und bei Wohlverhalten „zurückgegeben“ werden. Dabei sollte eine freiheitliche Gesellschaft doch gerade in einer Krise ihre Standfestigkeit beweisen, bei schwerem Sturm und nicht bei Sonnenschein. Wie auch eine echte Freundschaft und Beziehung sich in der Krise zeigt und nicht bei Friede, Freude, Eierkuchen.
Nun greift „wohlwollende“ staatliche Willkür um sich, die sich als „Schutz“ tarnt, und die Gerichte winken alles durch. Das totale Versagen der Rechtsstaatlichkeit, ihre gefühlte „Gleichschaltung“ ist für mich der größte Schock. Das zeigt, dass man sich wirklich auf nichts mehr außerhalb des eigenen Wirkungsbereichs verlassen kann, alles ist möglich.
Zum Jahresende 2021 versuche ich mir nun zu erklären, wie das passieren konnte, was nun mal passiert ist. Ich schaffe es nur teilweise und wenn ich ehrlich bin, würde mich meine Erklärung nicht überzeugen, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte in den letzten 2 Jahren. Aber es ist nun mal 2021 Realität, was so unglaublich aus Sicht eines Menschen von 2019 erscheint.
Man muss zugeben, anfangs war Deutschland in dieser Pandemie keine im internationalen Vergleich auffällig gestörte Gesellschaft, mit relativ unaufgeregten Politikern und wissenschaftlichen Beratern. Zwar war ich schon im März 2020 über den Ansatz, alles zu schließen und den Leuten vorzuschreiben, vorübergehend „mal die Luft anzuhalten“, entsetzt, aber es war kein spezifisch deutsches Phänomen, sondern eins der „Ersten Welt“, befeuert durch die „Bilder aus Bergamo“ und apokalyptische Prognosen anhand einfacher mathematischer Modelle zu exponentiellem Wachstum von Neil Ferguson aus London. Schon auf den ersten Blick im März 2020 war für den nachdenkenden Laien dennoch zu erkennen, dass durch diese „Maßnahmen“ global betrachtet sehr viel mehr zerstört als „Gutes“ getan würde. Offenbar wurde zum Schutz des eigentlich doch verhassten „alten weißen Mannes“, der besondere Gefahr lief, schwer zu erkranken, eine Menge getan, um anderswo auf dem Planeten eine Menge Leid auszulösen. Aber so ist unsere Demokratie, der alte weiße Mann und die alte weiße Frau wählen in unseren alten Gesellschaften die Politiker, ihnen sind sie also besonders verpflichtet. Und die reichen entwickelten Länder sind für alle Vorbild. So weit so schlecht.
Im Sommer 2020 war Deutschland dann wieder ein relativ entspanntes, zufriedenes und selbstgerechtes Land. Überall hörte man von Politikern und von vielen Menschen die üblichen überheblichen und für Deutschland typischen Sprüche, wie toll man doch sei und wie viel Glück man doch gehabt habe, gerade in Deutschland zu leben, wie schlimm das anderswo gekommen sei mit Corona. Im Großen und Ganzen habe man in Deutschland mal wieder vorbildhaft reagiert, im Gegensatz zu allen anderen – UK, USA, Italien, Frankreich, China sowieso. Über die eigene Großartigkeit war man sich in Deutschland mal wieder einig, und dieses Bild wurde auch vom Ausland klischeehaft bestätigt. Gerade in USA, UK und innerhalb der EU wurde Deutschland als vorbildhaft im Umgang mit Corona betrachtet.
Jens Spahn konnte im Herbst 2020 scheinbar selbstreflektiert aussagen, gewisse Maßnahmen hätte man überdacht und würde sie „mit dem Wissen von heute nicht mehr machen“, so das Schließen von Friseuren. Ebenso in Bezug auf Schulschließungen. Man würde das nicht mehr machen, weil es nicht sinnhaft gewesen sei.
Aber dann, im Spätherbst 2020 passierte ein Bruch, eine tiefe Kränkung der deutschen Selbstverliebtheit, die bis heute nicht überwunden ist. Plötzlich ging scheinbar alles schief, Deutschland war nicht mehr Vorbild und der Umgang mit der Pandemie bekam dadurch eine typisch deutsche Note. Der „Kampf gegen das Virus“ wurde immer fanatischer, entbehrungsreicher, selbstzerstörerischer und sinnentleerter. Der Kontrast zum Ausland wurde augenfällig. Das Ausland wurde rationaler, die Maßnahmen zielgerichteter und sinniger, während man in Deutschland den großen Hammer auspackte und zunehmend blind zuschlug. Offenbar befiehl die beratenden Virologen und Modellierer eine große Panik, weil „das Virus“ sich anders verhielt als berechnet. Aus dieser Panik heraus forderten sie schnelle politische Reaktionen. Dann wurde daraus für uns alle wirklich die Geschichte vom Mondbären, der nichts mehr essen wollte, nur damit der Mond wieder wachsen kann. Immer mehr von demselben, immer mehr von der alten Medizin, die nicht gewirkt hat. Absurde Dinge wie eine „Bundesnotbremse“ und Ausgangssperren wie in einem echten Krieg wurden eingeführt. Eine sehr deutsche „totaler Krieg – kürzester Krieg“ Mentalität machte sich breit, aus politischer Angst vor dem Untergang scheinbar bereit zu jedem Opfer, nur um endlich zu siegen. Dazu kam von den wissenschaftlichen Beratern ein wiederum typisch deutscher Kontroll- und Allmachtswahn mit totalitär wie irrational anmutenden „No-Covid“ und „Zero-Covid“ Initiativen.
Warum das Virus nicht einfach ausrotten, das man seit über einem Jahr global erfolglos bekämpft?
Und dann präsentierte man die Impfungen als „Wunderwaffen“ in diesem Krieg, obwohl von Beginn an klar war und anfangs selbst vom RKI so kommuniziert wurde, dass sie niemals mitten in einer Pandemie ihre Wirkung so entfalten können, wie (bewährte) Wirkungen dies normalerweise tun. Menschen glauben aber in Krisen gerne an Wunder.
Inzwischen ist in keinem halbwegs zivilisierten Land der Welt das Paniklevel wegen des Virus und speziell wegen Omikron so hoch wie in Deutschland. Nur in Deutschland und Österreich plant man eine Impfpflicht mit experimentellen Impfstoffen, die auch deren Hersteller als solche bezeichnen und jede Verantwortung ablehnen, die gegen die neue Variante kaum wirken (ebenso laut Hersteller), dafür aber reich an den bereits bekannten Nebenwirkungen sind (das wiederum verschweigen die Hersteller, obwohl sie fleißig Daten darüber sammeln). Das ist wirklich gesellschaftlich betrachtet Wahnsinn!
Und deshalb fühlt sich die aktuelle Entwicklung nur in Deutschland an wie eine bevorstehende totale Niederlage, während der Rest der Welt schon seit längerem halbwegs normal lebt und seit Omikron noch hoffnungsvoller ist.
Vor allem frage ich mich, wiederum bezogen auf Deutschland, was denn mit dem Konzept von „Ganzheitlichkeit“ bei der Betrachtung von Gesundheit geworden ist. Ganzheitliches Vorgehen war im Gesundheitswesen bis 2020 überall tonangebend, aber wo ist es nun hin? Ich erinnere: Gesundheit wurde betrachtet als Gesamtkonstrukt von körperlicher Unversehrtheit, Lebensfreude, psychischem Gleichgewicht, Bewegung und Entspannung, zwischenmenschlichen Beziehungen, Teilhabe, Selbstbestimmung, Stabilität und Sicherheit, beruflicher Zufriedenheit, gewaltfreier Kommunikation, Angstfreiheit, gesunder Ernährung und von noch viel mehr. Wo ist das alles jetzt? Einfach weg? Oder vorübergehend gedanklich verbannt? Nun wird Gesundheit völlig verzerrt und eingeengt auf das Fehlen eines bestimmten Virus betrachtet. Aber das passiert, wenn in beratender Funktion merkwürdigerweise nur Virologen, Epidemiologen und Physiker als Modellierer sitzen.
Dann wird Gesundheit wider besseres Wissen und wider des gesunden Menschenverstandes eindimensional und alle wünschen sich ein „bitte bleiben Sie gesund!“ im Sinn von „bekomme bloß das böse Virus nicht!“.
Aber Corona ist nicht in erster Linie ein virologisches Problem, sondern ein gesellschaftliches. Das ist, auf den Kern gebracht, der große Denkfehler in Deutschland.