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Wenn mir jemand sagen würde, dass es in Tübingen am 08.9.2019 keinen Regen gab, dann wüsste ich sofort: Das ist nicht wahr. Ich war selbst vor Ort, habe den Regen mit eigenen Augen gesehen und auf der eigenen Haut gespürt. Niemand könnte mich vom Gegenteil überzeugen. Was ich gerade geschildert habe, erscheint ganz trivial, ist es aber nicht! Der beschriebene Fall ist dagegen eine fast unglaubliche Rarität. Von all den zahlreichen Fällen, in denen wir meinen, bestimmte Fakten zu wissen („schau mal, was in [Brasilien, den USA, Russland, dem Nachbardorf] passiert"), besteht nur eine winzigste Minderheit, vielleicht ein Promille von einem Promille, aus solchen Angelegenheiten, in denen wir tatsächlich reale Zeugen des Geschehens waren und mit absoluter Sicherheit sagen können: Das war so und nicht anders.
Alles andere wissen wir nur aus den sogenannten Quellen, das heißt aus Büchern, Zeitungen, Funk, Internet, Facebook, Gesprächen mit Freunden und Bekannten und so weiter. Die Frage, wie zuverlässig diese Quellen sind, ist umso dringlicher, je mehr wir darüber nachdenken, dass auch sie ihr Wissen zum überwiegenden Teil wieder aus anderen Quellen beziehen. Bedeutet dies, dass wir im Grunde genommen fast gar nichts wissen und auf jegliches Urteilen verzichten sollten, wie ein Grieche Namens Arkesilaos (3. Jh.v.Chr.) gelehrt hat, der angeblich sagte, „nichts ist sicher und selbst das ist nicht sicher"?
Heute ist die Diskussion über den menschengemachten Klimawandel (engl. Human Made Climate Change: HMCC) eine der gewichtigsten Debatten in den deutschen Medien. Schon deshalb, weil das Klima in dreißigjährigen Intervallen bewertet wird, kann es im Gegensatz zum Wetter in meinem obigen Beispiel niemals direkt beobachtet werden. Noch schwieriger ist es mit den physikalischen Mechanismen der Klimaveränderung, die nur aufgrund tiefer Fachkenntnisse verstanden werden können, und auch dann nur stückweise und in Form von Modellen, das heißt schrittweisen Annäherungen an den realen Stand der Dinge. Dennoch behaupte ich, dass es erhebliche Gründe gibt, an der offiziellen Version des HMCC, insbesondere in Hinblick auf einen katastrophalen Verlauf des Klimawandels in naher Zukunft zu zweifeln, und zwar solche Gründe, die weder eine unmittelbare Wahrnehmung, noch elitäre Fachkenntnisse voraussetzen, sondern jedem vernunftbegabten Menschen zugänglich sind.
Die Anhänger der HMCC-Theorie werden nicht müde zu wiederholen, die Theorie sei „streng wissenschaftlich" und „basiere auf wissenschaftlich bewiesenen Fakten". Diese Aussagen werden dadurch begründet, dass die große Mehrheit (nach verschiedenen Angaben 70 bis 99 Prozent) aller Wissenschaftler von der Wahrheit des HMCC überzeugt seien. Abgesehen davon, dass man gar nicht definieren kann, wer zu diesen 70 bis 99 Prozent gehört, ist allein die Aussage über die Einigkeit einer großen Mehrheit die denkbar unwissenschaftlichste, denn in der Geschichte der Wissenschaft hat sich die Mehrheit öfter geirrt als umgekehrt.
Noch vor wenigen Jahrzehnten waren sich fast alle Wissenschaftler darüber einig, dass es, genetisch bedingt, höher- und minderwertige Menschen gibt, dass Frauen von Natur aus dümmer als Männer sind oder dass viele Krankheiten durch falsche Ernährung zustande kommen, von denen wir jetzt wissen, dass dies nicht der Fall ist. Auch der Slogan der Fridays-for-Future-Bewegung „Unite behind the science!" ist ein paradoxer Aufruf. Moralischer Druck, jeden Zweifel fallen zu lassen und sich vereint hinter „die Wissenschaft" zu stellen, ist zutiefst unwissenschaftlich.
Dabei sind die Kriterien der Wissenschaftlichkeit nicht besonders kompliziert. Vor allem muss jede wissenschaftliche Aussage prinzipiell widerlegbar sein. Das heißt, man kann sich eine solche Sachlage vorstellen, die, falls sie eintreten würde, eine wissenschaftliche Theorie zurückweisen würde. Man sagt, dass eine wissenschaftliche Theorie T gut (oder sogar „wahr") ist, wenn es klar ist, welche Sachlage diese Theorie widerlegen würde, wenn man verschiedene Versuche unternommen hat, diese (mit T unvereinbare) Sachlage tatsächlich zu beobachten, und wenn keiner dieser Versuche erfolgreich war.
Entscheidend für die Wahrheit einer wissenschaftlichen Theorie ist die Abwesenheit zurückweisender Fakten, während die Anwesenheit bestätigender Fakten völlig bedeutungslos ist. Angenommen, ich hätte eine „Theorie", dass alle Menschen denkunfähig seien. Selbstverständlich könnte ich tausende Beispiele dummer Leute finden, die diese „Theorie" glänzend bestätigen. Aber wie soll bitteschön die „Theorie" mit Sokrates, Newton oder Einstein umgehen? Also ist sie falsch. Dieses Kriterium trennt scharf Wissenschaft von Ideologie. Denn die Aussagen einer Ideologie werden so formuliert, dass sie unter keinen Umständen widerlegt werden können. Ideologien besitzen uneingeschränkte Anpassungsfähigkeit und können daher niemals falsch sein.
Die Aussagen über HMCC wären deshalb dann und nur dann wissenschaftlich, wenn uns die Experten erklären könnten, welche konkreten Wetterwerte (Temperatur t, Feuchtigkeit f und so weiter) an konkreten Orten O1, O2 und so weiter, falls sie tatsächlich beobachtet würden, die HMCC-Theorie als falsch erweisen würden. Ein Klimaforscher soll sagen: Wenn das und dies eintreten würde, dann haben wir alle uns geirrt. Meines Wissens gibt es solche Zurückweisungsbestimmungen bei HMCC nicht, oder zumindest habe ich sie in der öffentlichen Diskussion nicht finden können. Im Gegenteil: Jeder Wettertrend spricht angeblich für den menschengemachten Klimawandel, egal ob es heute warm oder kalt, still oder windig ist.
Mir ist nicht bekannt, ob es überhaupt ein Wetterphänomen geben kann, das die HMCC-Theorie nicht erklären kann. Die Fähigkeit, alles zu erklären, ist aber ein klassisches Merkmal einer Ideologie. Vielleicht mag es an den Medien liegen, dass uns jedes Wetterphänomen als Folge des Klimawandels präsentiert wird, dann wäre es allerdings Aufgabe der Klimaforscher, dem zu widersprechen, was aber offensichtlich nicht geschieht.
Ein anderes Kriterium der Wissenschaftlichkeit einer Aussage ist die Genauigkeit der in dieser Aussage verwendeten Begriffe. Welche Rolle das spielt, wird in dem folgenden Beispiel deutlich. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass – vorausgesetzt nur zufällige Wetterschwankungen, ohne jeden Trend zur Erwärmung oder Abkühlung – der Sommer dieses Jahres der heißeste Sommer seit 100 Jahren ist? Vielleicht haben Sie noch nie eine so einfältige Frage gelesen. Denn die Antwort ist selbstverständlich und in der Frage schon enthalten: Der heißeste Sommer in 100 Jahren kann – vorausgesetzt nur zufällige Schwankungen – eben einmal in 100 Jahren beobachtet werden. Die Wahrscheinlichkeit ist also 1 zu 100 oder 1 Prozent. Wie denn sonst?
Die Antwort ist zwar selbstverständlich, aber falsch. Richtig wäre sie nur, wenn der Begriff „der heißeste Sommer" streng definiert wäre, zum Beispiel als die absolut höchste Temperatur in den drei Sommermonaten oder als die durchschnittliche Temperatur über alle Sommertage, oder ähnliches. Eine Flexibilität der Definition erhöht die Wahrscheinlichkeit drastisch. So beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens ein Sommertag (zum Beispiel der 30.06.) der heißeste Tag seit 100 Jahren ist, ganze 60 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens ein Tag im Jahr der wärmste Tag seit 100 Jahren ist, liegt schon bei 97,5 Prozent.
Und wenn man andere Definitionsmöglichkeiten addiert (die heißeste Woche, die höchste Spitzentemperatur und so weiter), dann kann man mit Sicherheit sagen, dass – ich wiederhole: allein durch Zufallsschwankungen – jedes Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit nahe 100 Prozent eine bestimmte Kombination der Wetterereignisse im Sommer gefunden werden kann, die einen Hitzerekord der letzten 100 Jahre darstellt. Über diesen Rekord kann dann berichtet werden.
Selbstverständlich stimmt alles oben Gesagte für die kälteste, trockenste, windigste und so weiter Zeit in 100 Jahren genauso. In anderen Worten: Wenn wir uns nur erlauben, Begriffsdefinition flexibel an die Datenlage anzupassen, können wir jeden beliebigen Fakt bekommen, den wir gerade brauchen. Soweit zu den „wissenschaftlichen Fakten", wie sie uns täglich um die Ohren gehauen werden.
Arthur Schopenhauer hat um 1830 ein kleines Büchlein geschrieben mit dem schwierigen griechischen Namen „Eristische Dialektik". Darin listet er eine ganze Serie unfairer Verfahren auf, die ein Disputant anwenden kann, wenn er in einer öffentlichen Diskussion offensichtlich nicht recht hat, aber doch recht bekommen will. In der Argumentation der HMCC-Anhänger sehe ich eine regelmäßige Anwendung der von Schopenhauer empfohlenen unfairen Beweismittel.
1. Argumentum ad hominem: Wer auf der Sachebene seine Position nicht verteidigen kann, soll anstelle der Sachargumente des Gegners dessen Person angreifen. Er soll zeigen, dass der Opponent ein böser Mensch sei, mit dem schon aus moralischen Gründen keine Diskussion möglich ist. In der Klimadebatte werden Menschen, die an der vorherrschenden HMCC-Theorie zweifeln, nicht als „Zweifler" oder „Skeptiker", sondern als „Klimaleugner" bezeichnet. Dieser Begriff soll eine Assoziation mit der Holocaust-Leugnung hervorrufen, die in der breiten Öffentlichkeit Missachtung hervorruft und darüber hinaus strafbar ist. Das Wort „Klimaleugner" legt nahe, dass die Opponenten des HMCC mit verabscheuungswürdigen Verbrechern, mit verkappten Nazis vergleichbar sind. Gegen solche Typen lohne es sich nicht, sachlich zu argumentieren.
2. Falsche Dichotomie. Dieser weit verbreitete Trick wird häufig von politischen Extremisten verwendet, die behaupten, dass die einzige Alternative beispielsweise zum Linksextremismus der Rechtsextremismus sei (oder umgekehrt). Natürlich ist es falsch: Zwischen den Extremen liegt ein ganzes Spektrum gemäßigter politischer Meinungen.
In der Klimadebatte wird ähnlich behauptet, dass jeder, der an den HMCC-Thesen zweifelt, die Klimaveränderung, also offensichtliche Fakten, leugne. Das ist genauso wenig wahr. Ich persönlich habe noch keine Menschen getroffen, die die Tatsache der Klimaveränderung infrage stellen. Aber einige stellen die von HMCC-Modellen angenommene Geschwindigkeit des Klimawandels infrage; andere zweifeln an der entscheidenden Rolle des menschlichen Faktors; dritte hinterfragen die Bedeutung von CO2 im Vergleich mit anderen möglichen klimawirksamen physiko-chemischen Mechanismen; vierte akzeptieren sogar vollständig das theoretische Fundament des HMCC, die Korrelation zwischen CO2-Anstieg und Erwärmung ist ja kein schwaches Argument, behaupten aber, dass alternative Handlungsstrategien entwickelt werden sollten, vor allem die Anpassung der Menschheit an das wandelnde Klima, statt teure und ineffektive Versuche, den Wandel abzubremsen. Auch hier gibt es kein Entweder-Oder, sondern eine breite Palette unterschiedlicher Ansätze und Ansichten.
3. Der Appell an das unmittelbare Gefühl. An jedem heißen Tag hören wir, dass bei einer solchen Hitze wir alle ganz offensichtlich spüren, wie das Klima immer wärmer wird. Aber wir haben bereits gesehen, dass sich das Klima allein aufgrund seiner Definition (durchschnittliche Wetterwerte in dreißig Jahren) jeder Möglichkeit einer direkten Wahrnehmung entzieht. Man kann kein Augenzeuge einer Klimaveränderung sein. Angenommen, die mittlere Jahrestemperatur steigt in 30 Jahren um 1,5°C; das wäre eine durchaus bedeutsame Erwärmung. Dabei würde die Temperatur im Durchschnitt jedes Jahr um 0,05°C steigen. Würden Sie wirklich „fühlen", wenn gestern die Temperatur zum Beispiel 22,5°C war, und heute 22,55°C, dass es heute also wärmer geworden ist? Dabei geht es in meiner Frage um eine Veränderung von Tag zu Tag, und nicht von Jahr zu Jahr!
Das Argument, dass wir die Klimaerwärmung spüren können, ist ganz offensichtlich falsch; sogar die Klimaveränderungen katastrophaler Ausmaße liegen weit außerhalb unseres Temperaturwahrnehmungsvermögens. Um das Fühlbarkeitsargument zu stärken, wird auch jedes „Wetterereignis", jede Hitzeperiode, jeder Starkregen, jeder Tornado als kleiner Teil der großen Katastrophe präsentiert, um die Kraft des Gefühls für den Glauben an die Katastrophe zu mobilisieren. Dies ist aber völlig unlogisch, weil kein Tornado oder Orkan für den HMCC sprechen kann (es gab seit Beginn der Erde keine Zeit ohne Tornados und Orkane), sondern nur der durchschnittliche Trend zur Zunahme solcher Ereignisse über Jahre, und diesen Trend können wir wiederum nicht unmittelbar fühlen.
Das Vorhandensein dieser (und sehr vieler anderer) unfairen Argumente bedeutet nicht, dass es für HMCC und zumindest einige der mannigfaltig behaupteten „Klimafolgen" keine richtigen Argumente gibt. Ich gebe gerne die Möglichkeit zu, dass ich als Fachfremder die richtigen Argumente möglicherweise nicht verstehe. Aber man darf sich fragen, warum man unsolide Beweismittel verwendet, wenn man solide hat, und warum eine Wahrheit (vorausgesetzt, dass sie eine Wahrheit ist) mit solchen untauglichen Mitteln verteidigt werden muss. Ein Verdächtigter, der über ein glasklares Alibi verfügt, wird nicht auf zweifelhafte Unschuldsbeweise zugreifen, die von jedem aufmerksamen Richter schnell infrage gestellt werden können.
Es ist unmöglich zu übersehen, dass, sobald es um HMCC geht, sofort auch Geld ins Spiel kommt – und zwar sehr, sehr großes Geld. Der Kampf gegen den Klimawandel erfordert enorme Investitionen. Schließlich soll ja in kurzer Zeit die globale Wirtschaft komplett umgebaut werden. Allein die Energiewende in einem flächen- und bevölkerungsmäßig kleinen und weltklimatisch zweitrangigen europäischen Land sollte nach der bescheidenen Schätzung des damaligen Umweltministers Altmaier mindestens eine Billion Euro kosten. Eine Billion Euro ist so viel Geld, dass, wenn man es in 500-Euro-Scheinen aufeinander stapelt, ein Stapel herauskommt, der 25-mal höher ist als der Mount Everest. Für diese Summe kann man fast 300.000 afrikanische Gemeinden 10 Jahre lang unterhalten. Aber die deutsche Energiewende ist nur eines, und auch nicht das größte, der mit HMCC verbundenen Umweltprogramme.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass nur ein kleiner Bruchteil dieser märchenhaften Summen davon abhängen könnte, ob die Masse eines Festkörpers seine innewohnende Eigenschaft ist (klassische Mechanik) oder sich mit der Geschwindigkeit des Körpers ändert (Relativität); ob der Raum drei Dimensionen hat (Euklid) oder zehn (moderne Stringtheorien); oder ob der Spracherwerb genetisch bedingt ist (Chomsky) oder vor allem durch Lernprozesse gesteuert (B. F. Skinner). Die intimste Verflechtung zwischen Wahrheits- und Finanzansprüchen im Falle der HMCC-Theorie ist in der Geschichte einzigartig.
Der Punkt ist: Wenn jemand (das heißt wir alle) Geld ausgibt, erhält es ein anderer. Die Geldscheine werden ja nicht im Feuer verbrannt. Großen Ausgaben stehen immer große Profiteure gegenüber – Leute, Firmen und Organisationen, die diese Gelder in Form von gigantischen Aufträgen, Boni, Prämien und so weiter bekommen. Da die Last dieser Investitionen zum größten Teil Personen mit niedrigem bis mittleren Einkommen tragen werden, handelt es sich also um eine gigantische Umverteilung von unten nach oben.
Kein Wunder, dass die mit HMCC verbundenen Institutionen und Veranstaltungen (Veröffentlichungen, Demonstrationen, Meetings) von finanzstarken Partnern unterstützt werden und zumindest einige Personen, die die HMCC-Theorie aktiv propagieren (unter anderem Hans Joachim Schellnhuber, der Gründer des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, oder Luisa Neubauer, die Organisatorin der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung), mutmaßlich mit den finanzierenden Strukturen eng verbunden sind. Wie man im Süden sagt, „das hat ein Gschmäckle".
Natürlich ist jede Marketingstrategie auf der Suche nach einer „theoretischen Basis". Die Autoindustrie profitiert zum Beispiel vom Menschenbild, dass wir ein inneres Mobilitätsbedürfnis haben und die Pharmaindustrie von der Annahme, dass die Gesundheit der höchste Wert sei. Aber wir werden nicht gezwungen, diesen Strategien zu folgen. Wir müssen nicht, wenn wir nicht wollen, Auto fahren und schon sowieso nicht ein bestimmtes Auto fahren. Können Sie sich vorstellen, dass zum Beispiel jeder Mensch, egal ob er einen BMW, einen Toyota, Bus oder Bahn fährt, einen Anteil des Fahrgeldes zwangsweise an VW abgeben müsste? Blanker Unsinn!
Aber genau das ist, was im Bereich der HMCC-betriebenen Geldumverteilung passiert. So bekommen jetzt die Betreiber der erneuerbaren Energien Geld nicht nur dafür, dass sie uns den teureren Strom liefern, als die konventionellen Energiebetreiber könnten, sondern auch dafür, dass sie uns gar keinen Strom liefern. Allein im ersten Viertel 2019 erhielten die Betreiber der Windräder 364 Millionen Euro für die Kilowattstunden Strom, die in diesem Zeitintervall nicht produziert wurden (sogenannter Geisterstrom). Besser haben nicht mal die Schneider verdient, die des Kaisers neue Kleidung angefertigt haben. Ganz ehrlich: Die überwiegende Mehrheit meiner Kollegen (mich selbst inklusive) wären wahrscheinlich bereit, auch für die absurdeste Theorie Beweise zu finden, wenn sie dafür von einer Organisation unterstützt würden, die einfach so, für gar nichts, eine Milliarde Euro jährlich in die Tasche legen kann.
Aber das Geld ist nicht die einzige Ressource, die hinter politischen Wahrheiten stecken kann; die andere, noch wichtigere, ist die Kontrolle. Hitler, Stalin, Mao waren keine reichen Männer – keiner von ihnen wohnte im Luxus oder strebte danach. Aber sie hatten fantastische Kontrollmöglichkeiten, denn von ihrem Willen, von ihrer Laune, von ihrer augenblicklichen Entscheidung hingen nicht nur die Lebensumstände, sondern auch Leben und Tod von Millionen von Menschen ab.
HMCC eröffnet neue Möglichkeiten der Kontrolle, von denen sogar die absoluten Diktatoren der Vergangenheit nicht hätten träumen können. Im Sozialismus wurden zwar Menschen zahlreichen Entbehrungen ausgesetzt, aber wer nach einem langen Schlangestehen doch ein Stück Fleisch kaufen konnte, musste keine Rechenschaft ablegen, wie viel er von diesem Stück gegessen hat. Damit soll nun Schluss sein: Fleischkonsum erhöht unseren ökologischen Fußabdruck und soll daher reglementiert werden. Überhaupt hängt jeder Konsum, egal ob Waren oder Reisen, mit dem Ausstoß von CO2 zusammen. Alles ist jetzt wichtig: Was du mit deinem Müll machst, was du isst und trinkst, was du kaufst und wie du das Gekaufte verpacken lässt, wie du dich fortbewegst, wie du dein Haus baust und danach beheizt und, selbstverständlich, mit wem du gesellschaftlichen Umgang pflegst (vielleicht mit SUV-Fahrern?). Da es keinen klimaneutralen Bereich im Leben gibt, muss alles unter Kontrolle gestellt werden.
Dass diese Kontrolle nicht durch demokratische Instrumente beschränkt werden soll, wird auch gerne hingenommen. Bereits vor über 10 Jahren haben zahlreiche HMCC-Anhänger ihre negative Einschätzung der demokratischen Mechanismen klar zum Ausdruck gebracht. Vor Kurzem sagte Luisa Neubauer, dass demokratische Prozeduren zu langsam seien, um die von der HMCC-Theorie als notwendig erachtete Klimarettung zu bewerkstelligen, und Greta Thunberg bestätigte, dass der Kampf gegen den Klimawandel keine Kompromisse vertrage. Schließlich behauptet die Bewegung „Extinction Rebellion" schon ganz unverhohlen (und wird dabei von vielen Politikern sogar beklatscht), dass die demokratischen Regeln im Namen des Klimas abgeschafft werden sollen. Die Kontrolle unseres Lebens soll also erstens alle Lebensbereiche umfassen und zweitens undemokratische Mittel zulassen. Eine allumfassende undemokratische Kontrolle hat aber in der Politikwissenschaft den unschönen Namen totalitäre Diktatur.
Habe ich damit bewiesen, dass die HMCC-Theorie falsch ist? Natürlich nicht. Das kann ich nicht und habe es auch nicht beabsichtigt. Mein Ziel war ein anderes. Wir hören immer öfter, dass unsere Welt so kompliziert geworden sei, dass Otto Normalbürger nicht mehr in der Lage sein könne, selbstständig einen Weg durch die komplexen Phänomene zu finden und eigene Meinung zu bilden. Er solle daher brav das Denken lassen und auf Experten hören.
Dies ist schon deshalb Quatsch, weil es kein Komplexitätsmaß gibt, mit dem jemand zeigen könnte, dass die Welt im 21. Jahrhundert wirklich komplexer geworden ist als im 17. oder 18. Jahrhundert. „Der Experte" in diesen Aussagen ist natürlich niemand anders als unsere gute altbekannte Dame „Autorität", deren frühere Namen unter anderem „der Priester", „der Oberlehrer" oder „der Offizier" waren. Bereits 1961 hat Stanley Milgram das Antlitz dieser Autorität offenbart, indem er gezeigt hat, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind, wenn sie nicht auf einen Führer, einen General oder einen Boss, sondern auf die angeblichen „Forderungen der Wissenschaft" hören.
Allerdings bin ich kein Feind der Autoritäten, ohne sie geht es wahrscheinlich auch nicht. Ich möchte lediglich, dass sie als solche benannt und erkannt werden. Die Erkenntnis, dass hier eine Gruppe von Menschen mit dem Anspruch „Wir sind die Wissenschaft" als unhinterfragbare Autorität auftritt und Gefolgschaft einfordert, verhindert den drohenden Rückfall in das „selbstverschuldete Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines Anderen zu bedienen". Am Beispiel HMCC zeige ich, dass sich jeder mündige Mensch aufgrund allgemeinbekannter Fakten, der mit wenigen Klicks im Internet zu findenden Informationen, der Grundschulmathematik und der einfachsten Regeln des Verstands und der Logik eine eigene Meinung bilden kann.
Die meisten von uns sind weder Autobauer noch Architekten, aber beim Kauf eines Autos oder eines Hauses entscheiden wir, ob die Ware den Preis wert ist und ob der Verkäufer uns vertrauenswürdig erscheint. Wenn nicht, verzichten wir lieber auf den Kauf. Dieselben einfachen Argumente, dieselben und keine anderen („höheren") Denkfähigkeiten brauchen wir in der Politik im Allgemeinen und in diesem konkreten Fall. Die Frage lautet: Wollen wir den HMCC in der Form, in der er uns präsentiert wird, kaufen oder nicht? Und es steht jedem frei, sie selbst zu beantworten.
Quelle: Boris Kotchoubey ist Professor am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen.