Klimanotstand führt zu Demokratienotstand

Vor einem Jahr trat Greta Thunberg erstmals in den Schulstreik. Das Thema Klimawandel beherrscht seither die Schlagzeilen. Der politische Alarmzustand verhindert Zweifel, Kritik und Dissens. Panik aber ist der Todfeind der Vernunft und der Demokratie

Auch wenn der deutsche Sommer 2019 entgegen allen Erwartungen bislang weder von Dürre noch von langen Hitzeperioden, sondern von instabilen Wetterlagen geprägt ist: Was den Klimawandel angeht, könnte das gesellschaftliche Klima kaum hitziger sein. Nahezu jede Nachrichtensendung auf allen Kanälen setzt den Umwelt- und Klimaschutz als sinnstiftenden Rahmen und auch die abseitigste Nachricht in den Kontext des drohenden Klimakollapses.

Es ist schwer dieser Tage, das Thema aus den Schlagzeilen zu vertreiben. Sei es die Diskussion über neue Steuern und die drohende Rezession, über die Ursachen der globalen Migrationsbewegungen, über die Zukunft der Energieversorgung und das Verhältnis zu China und den USA – der rhetorische Abschlussschwenk zur Klimadebatte ist fast so sicher und unerlässlich wie das Amen in der Kirche.

„Klimatisierte Politik“: Notstand als Normalzustand

Es scheint, als könne Deutschland die Welt nur noch durch die Klima-Brille erkennen und verstehen. Alle anderen Themen, Nöte und Problemlagen werden diesem Thema untergeordnet oder aber als dessen Nebeneffekte inhaltlich „eingemeindet“. Selbst die anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland und die erwartbar guten Ergebnisse der AfD werden darauf verjüngt, dass diese allein schon wegen ihrer Weigerung, an den Klimawandel zu glauben, für aufrechte Bürger eigentlich „haram“ sei.

In gewisser Weise haben wir es in Deutschland mit einer „klimatisierten Politik“ zu tun: Anders jedoch als bei herkömmlichen Klimatisierungen geht es hier nicht um die menschenfreundliche Abmilderung extremer Temperaturen, sondern im Gegenteil um die Aufheizung und Radikalisierung öffentlicher politischer Diskurse.

Klima geht vor

Dies geschieht weder ungewollt noch zufällig: Im März 2019 hat die Bundesregierung das sogenannte „Klimakabinett“ eingesetzt. Dieser oberhalb der verschiedenen Ressorts angesiedelte Kabinettsausschuss soll Gesetzesvorlagen erarbeiten, mit denen Deutschland seine Klimaziele für 2030 und 2050 einhalten soll. Das bezweckte Signal ist eindeutig: Klima geht vor, alle anderen Gesellschaftsbereiche sollen sich diesem Primat unterordnen und Abstriche machen. Die Bezeichnung des Ausschusses dürfte bewusst gewählt sein und nicht zufällig an Sonderformationen aus Krisenzeiten wie etwa an das „Kriegskabinett“ erinnern.

Dazu passt, dass mittlerweile mehr als 50 Städte und Kommunen den „Klimanotstand“ ausgerufen haben. Natürlich ist auch dieser Begriff nur symbolisch, wie immer betont wird – und auch betont werden muss, denn schließlich hat nach Angaben des Umweltbundesamtes die Schadstoffbelastung der Luft in Deutschland im letzten Vierteljahrhundert deutlich abgenommen. Ein veritabler Notstand ließe sich also auch wissenschaftlich gar nicht begründen.

Popularisierung des Ausnahmezustandes

Und dennoch ist die Verwendung des Notstandsbegriffs mehr als nur ökoapokalyptische Symbol-PR. Die Klimanotstands-Kommunen wollen all ihre künftigen Entscheidungen unter einen Klimavorbehalt stellen. Die Stadt Rüsselsheim will die Bevölkerung umerzieh..., äh, „aktiv in den Umweltschutz einbinden“, wie es heißt. So sollen Schüler an einem jährlichen Umwelttag Müll in der Stadt einsammeln. Dabei wird es nicht bleiben.

In der Stadt Konstanz, die als erste den Notstand ausrief, koordiniert eine eigens gegründete „Taskforce“ die städtischen Klimaschutzmaßnahmen. Auch wenn all diese derzeit keine rechtlichen Konsequenzen haben und für sich genommen unbedeutend sind, so prägen sie nicht zuletzt durch die verwendete martialische Sprache doch das Bewusstsein der Menschen: Wir erleben eine Popularisierung des Ausnahmezustandes – und dadurch zugleich auch dessen Normalisierung.

Selbstausrottung als Klimaschutz?

Wie weit die politische Kultur mittlerweile von demokratischer und auch zivilisatorischer Normalität abzuweichen bereit ist, zeigt die Debatte über das Kinderkriegen in Zeiten der Klimakrise. Die Protagonistin dieser Diskussion ist in Deutschland die Lehrerin und Buchautorin Verena Brunschweiger. In ihrem Buch „Kinderfrei statt Kinderlos“ formuliert sie ihre düstere Botschaft ganz klar: Die meisten Eltern hätten nur aus egoistischen Gründen Kinder, es gehe ihnen schlicht und ergreifend ums Geld. Kinder seien „das Schlimmste, was man der Umwelt antun“ könne“.

Daher solle jede Frau, die der Umwelt zuliebe kein Kind bekomme, mit 50 Jahren 50.000 Euro erhalten – quasi eine Art Nicht-Gebär-Prämie als Dankeschön für die menschverhütende Planetenrettung. Diese Debatte eröffnet in ihrer Radikalität einen sehr erhellenden Blick auf den menschenfeindlichen Kern der Umweltschutz- und Klimadebatte: Der Mensch liefert mit seiner Zivilisation, ja schon allein durch seine Existenz, die Ursache des planetaren Untergangs.

Die elitäre Ideologie der menschlichen Schuld

Derlei Sichtweisen sind so weit von der humanen Intuition entfernt, dass sie, wenn überhaupt, dann nur über den Umweg der stetigen Eskalation der Apokalypsen-Rhetorik und der daraus abgeleiteten Kultur des permanenten Notstandes an das Leben der Menschen andocken können. Nur mit immer kruderen Gefährdungsszenarien lässt sich verhindern, dass Zweifel aufkommen und diskutiert werden, was ja in der Regel zu deren Verbreitung führt. Denn wer angesichts des als unbestreitbar geltenden Untergangs Diskussionsbedarf anmeldet oder auch nur Bedenkzeit einfordert, gilt bestenfalls als ahnungsloser, egoistischer und bequemer Beschwichtiger, aber eigentlich eher als tabubrechender Ketzer und Kollaborateur des Teufels – oder allumfassend neudeutsch: als Nazi.

Dies ist auch der Grund, warum der Klimawandel allein nicht ausreicht, um die notwendige Panik zu erzeugen. Es ist neben der im Bewusstsein zu verankernden extremen Beschleunigung vor allem der Aspekt des menschgemachten Wandels, der den Impuls des homo sapiens sapiens unterbinden kann, Herausforderungen aktiv anzugehen und Probleme verstehen und lösen zu wollen. Anders formuliert: Die Klimaschutzgemeinde hat kein wirkliches Interesse daran, dass Menschen rational auf Veränderungen reagieren und tatsächlich und im großen Stile aktiv werden. Es geht im Gegenteil darum, passiv zu werden, demütig das eigene Handeln zu bremsen, Erwartungen und Ansprüche herunterzuschrauben und sich dem Schicksal zu fügen.

Kinder an die Macht? Dann gute Nacht!

Um ein solches Denken gerade in Zeiten von politischer Unruhe tatsächlich zu verankern, sind besondere und schnell wirksame Vorgehensweisen nötig. Die Radikalisierung der Klimadiskussion liefert den zaudernden politischen Eliten der westlichen Welt einen willkommenen Ansatzpunkt, um die Menschen davon abzuhalten, die Welt anders zu gestalten, als sie ihnen während der gerade zu Ende gehenden Ära der Alternativlosigkeit gepredigt haben.

Kein Wunder, dass es gerade auch konservative Politiker sind, die auf den Klimazug aufspringen. Ihnen eröffnet die Bewegung „Fridays for Future“ ungeahnte Möglichkeiten: Sie erhebt die radikale Ablehnung des normalen Lebensstils und des Selbstbestimmungsanspruchs der Erwachsenen zum Kern ihres Protests und unterläuft damit alle Formen des antiautoritären, demokratischen und auf Mündigkeit und Freiheit des Einzelnen gerichteten Widerstands. Während in Frankreich die Gelbwesten seit Monaten gegen die bevormundende und bürgerferne Politik von Staatspräsident Emmanuel Macron protestieren, wirft sich die sich bewusst unerwachsen gebende Klimaschutzbewegung inbrünstig den Herrschenden an den Hals und bittet diese um autoritärere und erzieherische Maßnahmen gegen die verantwortungslosen Erwachsenen.

Panik ist der Todfeind der menschlichen Vernunft

„Ich will, dass Ihr in Panik geratet“, sagt die 16-jährige Greta Thunberg und bringt damit das Welt- und Menschenbild der jungen und durch und durch elitenorientierten Klimabewegung auf den Punkt. Das zu denken und zu sagen, ist ihr gutes Recht in einer Demokratie. Damit diese Demokratie auch künftig bestehen bleibt und nicht dem Klimanotstand geopfert wird, sollten wir uns aber vergegenwärtigen, dass Panik nicht nur kein guter Ratgeber, sondern auch der Todfeind der menschlichen Vernunft, der Demokratie und der Freiheit ist. In Schweden, der Heimat von Thunberg, beginnen die Menschen, dies zu verstehen. Hier hat der Greta-Hype bereits spürbar abgenommen. In vielen europäischen Ländern ist er nie wirklich angekommen.

Auch in Deutschland, dem Epizentrum des globalen Klimaschutzes, haben die Faszination und die Anziehungskraft apokalyptischer Streiter ihre Grenzen. Und selbst wenn die Entzauberung womöglich noch ein wenig länger dauert, wird sie kommen. Auf lange Sicht kann es keine populäre politische Massenbewegung geben, die sich grundsätzlich gegen den Menschen und dessen Zivilisation richtet. Daran werden weder Thunbergs Segeltörn noch die diesjährige Verleihung des Friedensnobelpreises etwas ändern.

Quelle: MATTHIAS HEITMANN am 18. August 2019

https://www.cicero.de/innenpolitik/klimadebatte-klimanotstand-demokratie-klimapolitik-greta-thunberg

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