Apr 02•10 min read
Europa im Ausnahmezustand. Das öffentliche Leben wird lahmgelegt, Kindergärten, Schulen und Sportstätten geschlossen, in den Supermärkten kommt es zu Schlangen und Hamsterkäufen, die Wirtschaft stürzt in eine Rezession und Depression, soziale Kontakte sollen begrenzt und Menschen in ihren Wohnungen und Häusern eingesperrt werden. Katastrophenalarm! Aber warum eigentlich? Sicher ist das neue Covid19 Virus gefährlicher als seine Vorgänger und weil es eben neu ist und deswegen Erfahrungen und vor allem Gegenmittel fehlen. Das ist bei anderen Krankheiten und Infektionen aber auch der Fall. Ist die politische und mediale Hysterie vielleicht viel ansteckender und gefährlicher als die biologische? Und: Übersehen wir mittlerweile bei allem Aktionismus die eigentliche Ursache für die Katastrophe?
Der Außenminister verkündet die Evakuierung von tausenden deutscher Urlauber aus allen Gebieten des Globus. Dafür würden Maschinen gechartert. Der Innenminister macht die Grenzen des Staates dicht, keiner kommt mehr rein noch raus. Waren sollen weiter fließen, die Staus vor den Grenze sind aber mittlerweile 50 Kilometer oder länger. Der Wirtschafts- und der Finanzminister verkünden Milliarden schwere Programme, um der Wirtschaft mit Geld und noch mehr Geld zu helfen, die größten Konjunktur- und Stabilisierungsprogramme der jüngeren Geschichte werden skizziert. Die Europäische Zentralbank macht mal eben knapp eine Billion Euro locker. Die Agrarministerin entdeckt die Bauern als Rückgrat der Versorgungssicherheit im Land (… wie war der Umgang mit eben diesen Bauern noch vor einigen Wochen bei den Protestdemos im Land??), gibt Verhaltensanweisungen für den Einkauf und stellt ebenfalls Finanzhilfen in riesigen Dimensionen in Aussicht. Der Arbeits- und Sozialminister feiert sich in Instagram- und Facebook-Posts, weil gerade „im Home Office mit Hoodie“ ebenfalls Bundesmittel in Milliardenumfang für Kurzarbeitergeld und andere „Hilfsmaßnahmen“ freigegeben habe. Der Gesundheitsminister ist auf jedem Schirm und jedem Foto mit immer neuen Zustandsmeldungen zu sehen. Bayern im Süden ruft den Katastrophenfall aus. Schleswig-Holstein im Norden erklärt sich selbst zum Sperrgebiet für alle Touristen und „Nicht-Landeskinder“. Alle Landes- und Kommunalregierungen beschließen auch finanzielle Nothilfen, jeder gibt Pressekonferenzen und produziert Verordnungen, Einschränkungen und Erlasse. Die Polizei wird mobilisiert, der Einsatz der Bundeswehr wird diskutiert. Die Kanzlerin hält eine Fernsehansprache.
Es scheint als sei die politische Klasse nicht nur mit Covid19 beschäftigt, sondern vor allem mit dem Contest „Deutschland sucht den neuen Helmut Schmidt“. Der hatte vor mehr als einem halben Jahrhundert bei der der Sturmflut in Hamburg gegen alle Bedenken und Verbote, die Bundeswehr zur Rettung der Menschen eingesetzt. Er ist das Vorbild. Nur will das keiner so offen zugeben. Jetzt ist die Chance sich als „Macher“ zu beweisen, Handlungsfähigkeit zu zeigen. Endlich! Denn mussten sich Politiker in den vergangenen Jahren nicht immer anhören, sie würden nichts tun, nur reden, sie hätten die Lage nicht im Griff, sie seien entscheidungsschwach und ängstlich? Jetzt ist die Gelegenheit da, das Gegenteil zu beweisen, es allen zu zeigen, hochzufahren, heiß zu laufen. Interessant dabei ist, was Schmidt dazu gesagt hat: „Wenn andere heiß werden werde ich kalt.“ (Und: „Wenn andere kalt werden, werde ich eiskalt.“) Soll heißen: Politiker müssen einen kühlen Kopf bewahren und vor allem die mittel- und langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen bedenken, vor allen Dingen vorausschauend handeln. Und Helmut Schmidt war es auch, der schon Anfang unseres Jahrtausends davor warnte, dass die größte Gefahr in Zukunft die „Hysterisierung der Massen“ sein werde. Offenbar nehmen sich viele den idealisierten Helmut Schmidt zu Vorbild – nur auf seine Aussagen hören will und wollte niemand…
Die Covid19 Pandemie ist gefährlich. Nach allem was bekannt ist, gefährlicher als andere Influenza-Viren. Deswegen müssen auch strenge Maßnahmen ergriffen werden. In erster Linie sollten die aber dazu dienen, die gefährdeten Gruppen in der Bevölkerung zu schützen. Das ist effizient und in allen Belangen auch die nachhaltigste Möglichkeit. Vor allem aber müssen diese Maßnahmen so früh wie möglich umgesetzt werden, bevor die Pandemie im Land ist und sich dann zwangsläufig ausbreitet. Das ist der Rat der Wissenschaftler. Und sie sagten dass schon seit Monaten. Nur auf die Wissenschaftler hören und im Sinne von Helmut Schmidt kühl auf die Fakten schauen, klar analysieren und vorausschauend handeln wollte keiner.
Momentan werden durch politische Entscheidungen auf unbestimmte Zeit pauschal alle Menschen in Deutschland und Europa mit Zwangsmaßnahmen belegt, die sich bis vor einigen Wochen noch niemand realistisch vorstellen wollte und konnte. Warum auch? In anderen Pandemien wurde eben nicht so rabiat eingegriffen. Während der letzten großen Influenza-Welle im Jahr 2018 starben schätzungsweise 25.000 Menschen allein in Deutschland. Besondere Schutzmaßnahmen oder Verbote des Staates gab es nicht. Im März 2009 breitet sich ein neuartiges Virus von einem mexikanischen Dorf über die ganze Welt aus. Später erhält es den Namen „Schweinegrippe“. Monatelang gibt es keinen Impfstoff gegen den neuen Erreger. Menschen infizieren sich zu hunderttausenden, mehrere tausend von Ihnen sterben. Reiseverbote, geschlossene Grenzen oder Ausgangssperren gab es nicht. Ganz offenbar galt diese Wahrnehmung aus der Vergangenheit nicht nur für die normalen Leute auf der Straße, sondern auch und vor allem für die politischen Entscheidungsträger auf allen Ebenen in unserem Land und in Europa. Denn wochenlang konnten beispielsweise noch täglich Flieger aus dem Iran oder China in Deutschland und Europa landen und es gab noch nicht einmal halbwegs effektive Kontrollen. Wieviele zehntausende Menschen allein auf diesem Weg aus Risikogebieten einreisen konnten, weiß niemand. Offenbar interessierte es auch niemanden. Währenddessen flimmerten schon täglich die Bilder aus China über unsere Bildschirme, wie ganze Krankenhäuser aus dem Boden gestampft wurden und klar zeigten, wie ernst die Lage wird, wenn das Visum erst mal im Land ist. Länder wie Taiwan oder Südkorea haben es anders gemacht und alle Einreisenden aus Risikogebieten kontrolliert, zurückverfolgt, isoliert und gleichzeitig die Risikogruppen im Land, vor allem Alte und Kranke, ebenfalls isoliert und geschützt. Bemerkenswerter weise haben genau diese Länder die Pandemie auch am besten im Griff und unter Kontrolle bekommen. Auch das war offenbar aus deutscher Sicht nicht „vorbildtauglich“. Natürlich ist kein Politiker verantwortlich für irgendeinen Virus und irgendeine Krankheit. Es ist die Verantwortung von Politikern, den Staat und die Gesellschaft mit vorausschauendem Handeln und Entscheidungen auf klar absehbare Notlagen vorzubereiten.
Und jetzt ist auf einmal alles anders. Das Leben steht praktisch still, Grundfreiheiten werden eingeschränkt, die Finanzmärkte brechen zusammen, Unternehmen müssen ihre Tätigkeit einstellen, Menschen werden ihre Arbeitsplätze verlieren, Existenzen werden massenhaft vernichtet werden.
Ist das alles vor diesem historischen Hintergrund und mit Blick auf die gesellschaftlichen Folgen in der Zukunft überhaupt vertretbar. Handeln unsere Politiker zwar jetzt hyperaktiv, aber vergessen darüber ihre eigentliche Verantwortung für die Stabilität unserer Gesellschaft in der mittleren und langen Perspektive? Mit einem nüchternen und im Sinne von Helmut Schmidt kalten Blick auf die Fakten, also mit einer objektiv wissenschaftlichen Bestandsaufnahme, muss man das leider so definieren. Natürlich lässt sich hier einwenden, dass vom grünen Tisch des Wissenschaftlers aus alles immer ganz einfach daher gesagt und besser gewusst sei. Das stimmt auch. Und hinterher ist man sowieso immer schlauer. Das stimmt genauso. Allerdings waren alle Fakten bekannt, bevor sich die Infektionen in Deutschland so explosiv ausbreiteten, wie sie es jetzt tun. Es geht eben darum, die Erkenntnisse und das Wissen aus der Wissenschaft möglichst früh zu nutzen und mutige Entscheidungen auf dieser verlässlichen Basis zu treffen, bevor eine Dynamik außer Kontrolle gerät und nur noch mit mehr oder weniger hilflosem Aktionismus möglicherweise eingedämmt werde kann. Listen to the Scientists, heißt es gerne in anderem Zusammenhang. Implizit geben die Verantwortlichen ihr zu spät kommen ja auch zu. Denn es geht ganz offiziell momentan darum, die biologische Katastrophe zeitlich zu strecken, nicht mehr darum, sie einzudämmen oder zu stoppen.
Dass sich die Entscheidungsträger bei ihrer Entscheidungsfindung in der aktuellen Situation daran orientieren, was in anderen betroffenen Gebieten zuvor zur Bekämpfung der Pandemie gelaufen ist, ist verständlich und logisch. Ob es allerdings sinnvoll ist, jetzt auf den letzten Drücker ein totalitäres Regime und seine rücksichtslosen Maßnahmen wie in China als Blaupause für Europa zu nehmen, muss bezweifelt werden. Das ist aber letztlich die Folge davon, dass andere Beispiele wie Taiwan oder Südkorea über Wochen hinweg völlig fahrlässig nicht anerkannt worden sind. Während die chinesische Regierung mit ihrem Shutdown in erster Linie ihre staatseigenen Betriebe und Arbeitsplätze trifft, sind in Europa nun vor allem diejenigen betroffen, die eben nicht für oder vom Staat leben, sondern mit ihrem Eigentum, ihrer Vorsorge und ihren persönlichen Lebensgrundlagen für die Entscheidungen des Staates im wahrsten Sinne des Wortes teuer bezahlen werden müssen. In vielen Fällen durch Totalverlust. Denn die Folgen des europäischen Shutdown werden nicht ein paar Dellen in den Quartalszahlen des Jahres 2020 sein, sondern wir steuern in eine Depression, die die Finanzkrise von 2008 und 2009 (auch das Jahr der Schweinegrippe) im negativen Sinne noch deutlich übertreffen wird. Die angekündigten „Hilfsmaßnahmen“ werden großartig zelebriert, um mit dem Vorspiegeln der schnellen Handlungsfähigkeit den Blick von den unausweichlichen mittel- und langfristigen Folgen abzulenken. Der Finanzminister packt verbal martialisch die milliardenschwere „Bazooka“ aus. Und er geht offiziell immer noch von einer schwarzen Null aus. Das weder das eine, noch das andere realistisch ist, weiß die Regierung natürlich selber. Weil aber nicht rechtzeitig und mutig genug gehandelt worden ist, als es möglich und vor allem nötig gewesen wäre, muss nun umso heftiger Handlungsfähigkeit und Kampfbereitschaft demonstriert werden. Und um Verlässlichkeit und Schutz zu suggerieren. Aber: Trotz schwarzer Null in der Vergangenheit, sind die Mittel der Regierung und der Zentralbank erschöpft, die Instrumente abgestumpft. Mehr Geld und immer noch mehr Geld und Bürgschaften werden nicht helfen, weil das Problem jetzt durch die aktuelle Torschlusspolitik vor allem in der Realwirtschaft liegt und nicht mehr nur in maroden Finanzkonstrukten. Genau die werden nun trotz allem Hilfezauber als erstes zusammenbrechen und den Weg von der Rezession in eine Depression nur beschleunigen. Wer nicht in den nächsten Wochen direkt durch den Shutdown in den Rin steuert, wird spätestens dann von der zweiten und dritten Welle mitgerissen.
Die Politik will also jetzt die Katastrophe kaschieren, die sie durch Zögerlichkeit, Leichtsinn und Entscheidungsschwäche als es drauf ankam selbst ausgelöst hat. Absehbar ist jetzt schon, wer dabei am schlechtesten wegkommen wird: Der deutsche Mittelstand und Selbständige. Für angestellte Arbeitnehmer werden von Arbeits-, vom Wirtschafts- und vom Finanzminister enorme Summen zum Beispiel für Kurzarbeitergeld bereitgestellt. Selbständige können zwar Darlehen und kostenlose Kredite in Anspruch nehmen. Nur hilft ein Kredit herzlich wenig, wenn das Unternehmen nicht Investitionen finanzieren will, sondern laufende Ausfälle kompensieren muss. Das Problem wird nur verschoben, vielleicht sogar verschlimmert, aber nicht gelöst. Absehbar ist auch, dass es wieder sogenannten „systemrelevante“ Industrien und Unternehmen geben wird, die aufgrund ihrer Größe (To Big to fail) gerettet werden müssen. Der Staat steigt dann ein oder übernimmt gleich den ganzen Konzern, um Arbeitsplätze zu „retten“, die wahrscheinlich gar nicht gefährdet wären, wären Minister und Regierungen vorher so entscheidungs- und handlungsstark gewesen, wie sie jetzt tun. In Frankreich beispielsweise redet der Premierminister ganz offen von der „Nationalisierung“ von Unternehmen; in Deutschland ist das ebenfalls geübte Praxis seit der letzten Finanzkrise. Beispiele? Commerzbank, HSH Nordbank oder Hapag Lloyd. Genützt hat es nichts, gekostet hat es Unsummen. Mittelständler spielen neben solchen PR starken Riesenrettungen dann natürlich keine Rolle mehr. Auch wenn der Mittelstand in Sonntagsreden gerne als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft gelobt wird, wird er in Krisenzeiten so gnadenlos fallen gelassen, dass das Rückgrat bricht. Die wirtschaftlichen Folgen sind schon jetzt als desaströs und langwierig erkennbar. Das Bewusstsein darüber setzt sich nur langsam durch. Die gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen, die daraus folgen müssen, werden die Ordnung, Sicherheit und Stabilität deutlich mehr strapazieren, als die jetzigen Zwangsmaßnahmen gegen das Covid19 Virus. Genau die geben jetzt aber die Kulisse ab, vor der sich die zu spät Aufgewachten als Retter und Reinkarnation vom Macher Helmut Schmidt darzustellen versuchen.
Doch nicht nur Helmut Schmidt hatte wahre Sprüche. Auch ein anderer Staatsmann war sehr weise. Michail Gorbatschow hat den Ausspruch berühmt gemacht: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Dumm nur, wenn die einen zu spät dran waren und die anderen dafür lange und schmerzlich bezahlen müssen.
Quelle: Andreas Mohring